WOODSTOCK, WEMBLEY – WEIßENSEE: ROCK-ARENA IM GEIST DES FRIEDENS

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Nun schreiben wir das Jahr 2024, und wer weiß schon, welches Großereignis der internationalen Rockmusik vor 35 Jahren jeweils in der DDR-Hauptstadt, in West-Berlin sowie in den Weltmetropolen Moskau und New York hätte stattfinden können? Um es vorwegzunehmen: Die internationale Rock-Arena, die parallel an den vier Veranstaltungsorten über die Bühne gehen und deren Programm in alle Welt übertragen werden sollte, kam im Umbruchjahr 1989 nicht mehr zustande.

Ein Millionenpublikum konnte das nicht bedauern, denn es wusste ja nichts von den schon recht konkreten Planungen und folglich auch nichts von dem Teilnahmeinteresse, das Stars wie Joe Cocker, U2, Paul McCartney, Bruce Springsteen, Bryan Adams, Rolling Stones, Ray Charles und Aretha Franklin, Elton John oder Dire Straits laut Information der US-amerikanischen Initiatoren des Events bekundet hatten. Der hauptsächliche Ideengeber war der Musikmanager Michael Lang.

Die FDJ hatte zu jenem Zeitpunkt zusammen mit der Künstleragentur der DDR bereits eine Reihe internationaler Rock-Events veranstaltet. Darunter zwei Auftritte von Joe Cocker in Berlin und Dresden. Cocker und Michael Lang, der sein Manager war, hatten sich danach in einem Brief für die Organisation bedankt. Diese und die anderen erstaunt zur Kenntnis genommenen Konzerte im „tiefen Osten“ mochten Lang bewogen haben, den DDR-Jugendverband wegen des geplanten Mega-Vorhabens zu kontaktieren.

Ursprünglich hatte den Initiatoren eine Hommage an das legendäre Woodstock-Festival vorgeschwebt, dessen Mitveranstalter Michael Lang gewesen war und das seinem 20. Jahrestag entgegensah. Die FDJ akzeptierte das, schlug aber die gleichzeitige Erinnerung an den Beginn des Zweiten Weltkrieges vor, den Hitlerdeutschland vor einem halben Jahrhundert mit dem Überfall auf Polen entfesselt hatte. Von Berlin war der Eroberungskrieg ausgegangen, und hier hatte er dank der Roten Armee und ihrer Alliierten mit der Niederlage der Barbaren sein Ende gefunden. Berlin, Moskau und New York waren fraglos Städte, in denen diese Erinnerung sinnfällig werden konnte. Michael Lang meinte, die beiden Jubiläen vereine eine gute Brücke: der Gedanke des Friedens. Als Veranstaltungstermine waren der 26. und 27. August 1989 vorgesehen.

Ohne die bereits gelaufenen Konzerte in der DDR wäre die FDJ kein Ansprechpartner für den „Vierer-Pasch“ gewesen, mit dem Lang und Co. ihre Vision von einer neu dimensionierten Ost-West-Achse der Rockrezeption beleben wollten. Die Serie dieser Open Airs hatte Mitte Juli 1987 mit einem Konzert der Gruppe Barclay James Harvest begonnen. 45.000 Besucher waren in den Berliner Treptower Park gekommen, der damals als am besten geeigneter Veranstaltungsort erschien. Der Einstand gelang und ermutigte zu einem Follow-up, das dann aber die bisher erworbenen organisatorischen Fähigkeiten an ihre Grenzen trieb.

Die Künstleragentur der DDR hatte einen Auftritt von Bob Dylan angeboten, für dessen Vorbereitung nur wenige Wochen Zeit blieben, obwohl im Vergleich zu Barclay James Harvest eine viel höhere Zuschauerzahl und ein gestiegenes Medieninteresse zu erwarten waren. Das Vorhaben blieb wegen des logistischen Hochgebirges reichlich verwegen: Bühnenaufbau, Beschallung, Kartenverkauf, Publikumszugänge, Sicherheitsstandards auf der großen Festwiese im Treptower Park – alles unerprobte Dimensionen. Mit externer Hilfe war das Notwendigste geschafft, als am 17. September 1987 über 120.000 Zuschauer auf dem Platz einen etwas desinteressiert wirkenden Bob Dylan, dafür aber ein fulminantes Vorprogramm von Tom Petty & The Heartbreakers und Roger McGuinn erlebten.

Als Dylans Wagenkolonne weitergezogen war, verlief der Abgang des Publikums chaotisch und verstopfte stundenlang die Hauptstraßen, die von den südlichen Autobahnen in Berlins Mitte führten. Der anwesende Stabschef der Berliner Volkspolizei erklärte, ein derartiges Großkonzert auf diesem Platz sei zukünftig ausgeschlossen. Aber wo dann? „Ich werde den Platz finden“, sagte der Stabschef.

Er präsentierte das weithin unbekannte Stadion an der Rennbahnstraße in Berlin-Weißensee. Eine Aschewiese zwar, aber geräumig genug für sechsstellige Besucherzahlen und mit reichlich Platz für große Bühnenaufbauten und den nötigen Backstagebereich. Außerdem lag der Ort dezentraler mit einem günstigen Abstand zu den öffentlichen Verkehrsmitteln.

Der erste Gast auf dem neuen Terrain war am 1. Juni 1988 Joe Cocker, der zusammen mit seinem Dresdener Konzert am Folgetag 170.000 Zuschauer erreichte. Er hatte zuvor über die Zeitung Junge Welt eine Botschaft an sein Publikum geschickt: „Wenn es meiner Band und mir gelingt, die Liebe zu euch in unseren Konzerten … zu vermitteln, werden wir zufrieden wieder abreisen. Euer Freund Joe Cocker.“ Das musste geklappt haben, denn Cocker und Lang lobten beim Abschied das Publikum, in dessen Geist und Energie sie ihre Woodstock-Träume aufleben sahen. Diesen „Geist des Friedens“ überall zu verbreiten, würde neue Projekte lohnen. War hier Michael Langs Plan für die 89er-Rock-Arena schon angelegt?

Im selben Monat hatte eine vom Jugendverband organisierte Friedenswoche die Rennbahn Weißensee zum Hauptschauplatz. Drei Tage lang gab es Programme mit James Brown, Bryan Adams, The Wailors (der Band des 1981 verstorbenen Bob Marley), Fischer-Z, Marillion, Bots, Big Country, Rainbirds, Heinz Rudolf Kunze, Hannes Wader, dazu den DDR-Gruppen City, NO 55, Die Zöllner und Rockhaus. Der Zulauf an den drei Tagen war mit insgesamt rund 250.000 Besuchern sehr groß. Als Bryan Adams bis in den nächsten Tag hinein sang, hatte er noch immer 120.000 Zuhörer.

Vier Wochen später stand Bruce Springsteen mit seinem Programm „Tunnel of Love“ auf dieser Bühne. Marcel Avram und Fritz Rau, die wohl wichtigsten westdeutschen Rock-und-Pop-Manager, hatten das – gleichfalls mit Zukunftsprojekten im Kopf – eingefädelt. Der Auftritt vor über 160.000 Besuchern war für Bruce Springsteen damals das größte Open-Air-Konzert seiner Karriere. Später schrieb er in seiner Autobiografie „Born to Run“: „Vor mir auf einem offenen Feld stand die größte Menschenmenge, die ich je gesehen und für die ich je gespielt hatte. Das Ende der wogenden Masse war von der Bühne aus nicht zu erkennen.“

Im Nachhall dieses 1988er-Konzertsommers meinte ein weltweit agierender Branchenkenner, neben Woodstock und Wembley habe sich Weißensee als imposantes „drittes W“ etabliert, denn nirgendwo in der östlichen Hemisphäre fänden derart dimensionierte internationale Rockereignisse statt. Kommende Weltsprünge und das baldige Ende des „dritten W“ nicht vorhersehend, lobte er eine Unternehmung, die schon damals in westlichen Medien und nach der Wende in manchem nachtretenden Feuilleton als politisch kontaminiert abgekanzelt wurde. Das wahre Motiv der „FDJ- und SED-Bonzen“ für die Konzert-Offerten sei die Anbiederung an eine bereits verlorene junge Generation gewesen. War das so?

In dieser Schublade liegen Wahrheiten neben Fakes. Anbiederung? Ideologisch verabscheuter Musikimport für Ruhe im Nachwuchskarton? Die Organisatoren, ob nun FDJ-beamtet, ehrenamtlich oder freiberuflich wie der unermüdliche Gerald Ponesky, liebten das Eingekaufte so, wie es das Publikum tat. Die Konzerte waren ein kultureller Service, den viele erträumten und der infolge noch immer verweigerter Reisemöglichkeiten – ein Kardinalfehler des Realsozialismus – auf einheimische Bühnen geholt werden musste. Klar, wer so was organisierte, war auf Anerkennung aus. Das liegt in der Logik jeder Politik.

Aber im Jubel um die Rockstars entlud sich auch angestaute Lust auf Veränderung im Lande und Neugier auf den unerreichbaren Teil der Welt. Der Jugendverband, ich war damals Kultursekretär des FDJ-Zentralrates, durfte die Akzeptanz seines Konzertangebots nicht für ein uneingeschränktes politisches Einverständnis halten. Wenn wir es dennoch taten, beschwichtigten wir eigene Zweifel oder legten uns Argumente für künftige Projekte zurecht.

Andererseits, das zeigt ihre Rezeptionsgeschichte, war und blieb Rockmusik im besten Sinne porös für gerechte politische Anliegen. Das Publikum machte sie sich zu eigen, wenn die Gruppen autark ihre Zeitzeichen setzten: Für Frieden („Der blaue Planet“), für Solidarität („Chilenisches Metall“), gegen Apartheid („Der alte Dorn“) …

Das Weißenseer Konzert „Beat Apartheid“ am 16. Juni, dem Jahrestag des Blutbades von Soweto, hatte Grüße von Harry Belafonte, Miriam Makeba und Little Steven erhalten, die Tage zuvor im Londoner Wembley-Stadion Freiheit für Nelson Mandela gefordert hatten. Das Einverständnis mit Wembley ging weit über die Strahlkraft der Musik hinaus. Aber in den Auseinandersetzungen um eine Demokratisierung der Gesellschaft forderten die DDR-Rocker, dass die „großen Weltthemen“ im Augenmerk von Veranstaltern und Medien nicht ihre kritische Analyse des DDR-Alltags überdeckten.

Nicht zu Unrecht erreichte auch mich der Vorwurf, hier zensuriert und nicht erkannt zu haben, wie bornierte Angst vor politischem Kontrollverlust eine Kunst lähmen konnte, die durch kritische Befragung den Gesellschaftsbau optimieren wollte.

Wie ging es weiter mit dem „Vierer-Pasch“? Laut Michael Lang hatten U2 und Elton John den Wunsch geäußert, in der DDR aufzutreten, was aber noch Verhandlungssache gewesen wäre. Fernsehaufzeichnungen sollten durch TV-Stationen der jeweiligen Gastgeberländer empfangen und übertragen worden. Die vier Veranstalter sollten jeweils für Bühnenaufbauten, Kartenverkauf, Werbung, Sicherheit, Versorgung und Unterkunft verantwortlich sein und die Einnahmeerlöse erhalten. Wichtig: Der DDR wären keine Valutakosten entstanden.

Als Sponsoren hatten angeblich Coca-Cola und die Jeans-Firma Levi’s Interesse bekundet. Das soll für ein bisschen Diskussionsstoff auf der Politbüroetage gesorgt haben, als die DDR-Teilnahme an diesem Event bewilligt wurde. Aber es war ja klar, dass das Projekt ohne ansehnliche Sponsorengelder nicht zu verwirklichen war. Leider klemmte es in Moskau. Die Zeit wurde knapp, die Sponsorengelder kamen auf die Schnelle nicht mehr zusammen und in der DDR stapelten sich andere Probleme. Eine einzigartige Idee blieb Papier.

2014, zum 75. Jahrestag des Kriegsbeginns, wollte sie niemand beleben, und heute, ein Jahrzehnt später, ist „Kriegstüchtigkeit“ die herrschende Antithese. Eine transkontinentale Rock-Arena für den Frieden! Ich wünschte, die Welt träumte wieder davon.

Hartmut König: Liedermacher und Autor, 1976 bis 1988 Sekretär des Zentralrates der FDJ zunächst für internationale Arbeit, später für Kultur, 1989 Stellvertreter des Ministers für Kultur der DDR, Memoiren: „Warten wir die Zukunft ab“ (2017).

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