TESSIN IM AUSNAHMEZUSTAND: «FüR DIE STIMMUNG GIBT ES KEINE WORTE»

Nach dem Unwetter im Maggiatal kämpfen die Bewohner mit den Folgen. Häuser sind zerstört, Menschen werden vermisst und es fehlt an Trinkwasser. Eine Reportage.

Das Unwetter erschütterte am Wochenende das Maggiatal. Weiterhin werden Personen aus der Region vermisst – andere haben ihr Leben verloren. Einige Häuser wurden komplett verwüstet. Bis am Montagabend funktionierte teils weder Internet noch Telefonie. Auch Trinkwasser gibt es in Teilen des Tals keines. Egal, mit wem man spricht, die Tränen stehen vielen zuvorderst. «Was wir erlebt haben, ist schrecklich», sagt eine Tessinerin.

In Cevio, das wegen der zerstörten Visletto-Brücke nur zu Fuss erreichbar ist, treffen sich am Dienstag die Menschen aus dem oberen Teil des Maggiatals, um sich mit anderen auszutauschen und einzukaufen. «Bis gestern wussten wir wegen des fehlenden Empfangs nur vom Hörensagen, was in einigen Ortschaften genau passiert ist.»

Viele, die in Cevio eigentlich nur einkaufen wollen, verweilen. Der Grund: Sie treffen auf und unterhalten sich mit Leuten, die wie sie selbst zerstörerische Szenen über die letzten Tage miterlebt haben.

Kein Empfang für Stunden

«In der Nacht auf Sonntag hatte ich solche Angst», sagt Marielle beim Besuch im Valle Lavizzara. In Prato-Sornico ist die Verwüstung riesig. Eine grosse Menge Steine und Geröll verschüttete am Sonntag das Dorf. Die Maggia flutete die Häuser vieler Bewohnerinnen und Bewohner.

Der Handyempfang ist für viele Stunden ausgefallen. «Ich hatte keine Ahnung, wie es meiner Familie und meinen Freunden in den anderen Dörfern geht», so Marielle. Als sie wieder Nachrichten empfangen konnte, habe sie 30 verpasste Anrufe gehabt.

Weiter hinten im Dorf stehen Kisten, Säcke und etliche Gegenstände auf einem Garagenplatz. Mit Tränen in den Augen erzählt Gabriella, wie das Wasser in ihren Keller floss: «So hoch war es noch nie. Es kam durch die Fenster rein. Es war so schlimm.» Ihre Tochter und Enkelin hätten ihr nun geholfen, die Räumlichkeiten auszuräumen.

Am Dienstag kreisen weiterhin Helikopter über dem Tal. Es werden vier Personen aus Prato-Sornico und Fontana vermisst. In Fontana hat die Familie der 21-jährigen Oriana ein Haus. «Wir waren die letzten Tage in den Ferien. Nun haben wir grosse Angst, nach Fontana zurückzukehren. Wir haben gehört, dass einige Gebäude nicht mehr stehen.»

«Bis alle wieder Trinkwasser haben, dürfte es noch eine Weile dauern»

Die Aufräumarbeiten im Tal sind in vollem Gang. Einer, der im Einsatz steht, ist Lucas (29) aus Broglio. «Für die Stimmung, die ich im Tal antreffe, habe ich kaum Worte. Die Situation ist frustrierend. Aber alle helfen einander.» Er sei dafür verantwortlich, dass die Einwohner des Tals wieder mit Wasser fürs Duschen und Kochen sowie Trinkwasser versorgt werden.

Am Mittwoch wolle er zusammen mit anderen versuchen, ein 800 Meter langes Rohr in den oberen Dörfern des Maggiatals zu verlegen. «Bis alle wieder Trinkwasser haben, dürfte es wohl noch eine Weile dauern.» Derzeit brächten Helikopter Wasser in die abgelegeneren Ortschaften.

2024-07-02T17:15:14Z dg43tfdfdgfd