ORBAN SCHLäGT WAFFENRUHE VOR – UND BLITZT BEI SELENSKI AB

Der ungarische Regierungschef hat als EU-Ratsvorsitzender die Ukraine besucht. Dabei verfolgte er zwei Ziele.

Es war ein mit Spannung erwarteter Besuch, zu dem Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban am Dienstag nach Kiew gekommen ist. Nicht nur, weil Orban die ukrainische Hauptstadt seit 2012 nicht mehr besucht hatte, sondern vor allem wegen dieser Frage: Welche Ziele würde Orban – führender Russland-Versteher, Putin-Freund unter Europas Regierungschefs und Bremser sowohl militärischer wie finanzieller Hilfe für die Ukraine – in Kiew verfolgen?

Die Antwort war umso wichtiger, als Ungarn am Montag für ein halbes Jahr den Ratsvorsitz der EU übernommen hat. «Das Ziel der Präsidentschaft Ungarns ist es, dazu beizutragen, die vor der EU liegenden Herausforderungen zu lösen», schrieb Orban auf Facebook. «Darum führt meine erste Reise nach Kiew.» (Lesen Sie auch die Analyse zu Ungarns EU-Ratsvorsitz: «Orban will EU ‹wieder gross machen›».)

«Erst Feuer einstellen, dann Friedensverhandlungen»

Und so sprach Orban mit Wolodimir Selenski darüber, wie im russischen Angriffskrieg ein Friede zu erreichen sei. Erster Schritt laut Orban ist ein von der Ukraine angebotener Waffenstillstand. «Wir schätzen die Initiativen von Herrn Selenski für das Erzielen eines Friedens sehr. Aber ich habe ihm gesagt, dass diese Initiativen viel Zeit brauchen», sagte Orban bei einem Auftritt vor den Medien. «Ich habe Selenski gebeten, nachzudenken, ob man es nicht anders tun sollte: erst das Feuer einstellen, dann Friedensverhandlungen führen.»

Gemäss Orban würde ein Waffenstillstand, geknüpft an eine Frist, eine Chance eröffnen, Friedensgespräche zu beschleunigen. «Ich habe diese Möglichkeit mit dem Präsidenten erörtert, und ich bin dankbar für seine ehrlichen Antworten.» Damit deutete Orban an, dass Selenski den Vorschlag zurückgewiesen hatte.

Der ukrainische Präsident sprach beim gemeinsamen Auftritt vor den Medien über den Weg der Ukraine in die EU oder die Wiedereröffnung von Schulen für die ungarischsprachige Minderheit in der Ukraine. Doch Orbans Vorschlag eines Waffenstillstands erwähnte Selenski mit keinem Wort.

Orban möchte keine russische Niederlage

Das verwundert nicht: Schliesslich hatte Russlands Präsident Wladimir Putin die ukrainische Regierung erst kürzlich wieder als «Kiewer Regime» herabgewürdigt. Dabei forderte der Kreml-Chef, für einen Waffenstillstand müsse die Ukraine alle rechtswidrigen Eroberungen Russlands auf ukrainischem Staatsgebiet anerkennen und seine Truppen aus vier von Moskau teils besetzten, aber vollständig beanspruchten und umkämpften Regionen – Donezk, Luhansk, Cherson, Saporischschja – vollständig zurückziehen. Ausserdem müsse die Ukraine auf eine Nato-Mitgliedschaft verzichten.

Dass Ungarns Ministerpräsident in Kiew gleichwohl nun mit dem Vorschlag eines Waffenstillstands auftrat, ist ebenfalls nicht erstaunlich. Zuletzt verhandelte Orban im Oktober 2023 persönlich mit Putin und betonte, er wolle die Beziehungen zwischen Ungarn und Russland weiter pflegen.

Orban ist ein erklärter Gegner einer russischen Niederlage im Angriffskrieg gegen die Ukraine. «31 von 32 Nato-Mitgliedsstaaten wollen die Russen besiegen. Das ist ein Fehler», betonte Ungarns Premier zwei Wochen vor Übernahme des EU-Ratsvorsitzes im ungarischen Radio. Die Nato «erleichtert den Krieg, während Ungarn auf der Seite des Friedens steht».

Mehr Rechte für ungarische Minderheit gefordert

Das zweite Ziel des Orban-Besuchs in Kiew waren Zugeständnisse bei den Rechten Zehntausender im Westen der Ukraine lebender ethnischer Ungarn. Im Januar hatte Ungarns Aussenminister in Kiew eine Liste mit elf Forderungen deponiert. So verlangte er die Wiederherstellung des 2017 abgeschafften Sonderstatus für auf Ungarisch unterrichtende Schulen sowie den Verzicht auf die Forderungen, Ukrainisch sprechen zu können oder eine in ukrainischer Sprache verhandelnde Dorf- oder Gemeindevertretung zu schaffen.

Ungarn fordert ausserdem die Anerkennung von Regionen in der Ukraine mit einer ukrainischen Minderheit als «historisch ungarisches» Territorium und die Fortschreibung von Minderheitsrechten auf der Grundlage einer Volkszählung von 2001. Seitdem sind allerdings viele Ungarn ausgewandert. Gemäss den Behörden leben statt 150’000 nur noch 80’000 ethnische Ungarn in der Ukraine.

Schliesslich verlangt die Orban-Regierung garantierte Parlamentssitze für die ungarische Minderheit. Dafür wären allerdings sowohl ein Referendum als auch eine Verfassungsänderung notwendig – beides ist im Kriegszustand verboten. Ob über die Wiedereröffnung ungarischsprachiger Schulen hinaus weitere Einigungen vereinbart worden sind, blieb zunächst unklar.

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