«KLAR KöNNTE ICH EIN FLUGZEUG LANDEN»: WIE MäNNER SICH üBERSCHäTZEN

Männer neigen zur Selbstüberschätzung. Sie gäben vor, mehr zu sein, als sie seien, sagt Männlichkeitsforscher Toni Tholen. Paarberater Martin Bachmann kontert: «Nur, wer sich etwas zutraut, erreicht auch etwas.»

Könntest du im Notfall ein Passagierflugzeug landen, obwohl du zuvor noch nie eines geflogen hast? Könntest du es in der Wildnis mit einem Bären oder Krokodil aufnehmen? Viele antworten auf solche Fragen in Umfragen mit «Ja klar» – die Mehrheit davon sind Männer.

Überschätzen sich also vor allem Männer? Ja, zeigen die Resultate mehrerer Studien. Und: «Man kann es auch im Alltag beobachten», sagt Toni Tholen. Er ist Männlichkeitsforscher an der Universität Hildesheim (D) und forscht seit über 30 Jahren zu traditionellen und modernen Männerbildern.

«Männer geben vor, mehr zu sein, als sie sind»

Woher also stammt die männliche Selbstüberschätzung? Tholens These: «Das moderne männliche Ich ist davon geprägt, dass Männer vorgeben, mehr zu sein, als sie sind.»

«Männer sind und erscheinen sich selbst gegenüber immer mehr, als sie faktisch sind.»

Männer reissen sich laut Tholen also immer wieder von einem Ist-Zustand los, um ein nächstes Ziel anzuvisieren. Dadurch seien sie permanent in der Bewegung eines Mehr-Erreichen-Wollens, eines Mehr-Sein-Wollens. «Das heisst, das männliche Ich lebt in einem dauernden Anspruch, der schnell auch zu einer Anmassung werden kann. Männer sind und erscheinen sich selbst gegenüber immer mehr, als sie faktisch sind», so Tholen.

«Gute Selbstsicherheit ist etwas Grossartiges»

Das klingt erst einmal negativ. Anders sieht es Martin Bachmann, der bei Paarberatung und Mediation im Kanton Zürich arbeitet: «Klar, Selbstüberschätzung birgt viele Risiken, übertriebene Leistungsorientierung kann zu Selbstausbeutung oder gar Selbstaufgabe führen.» Aber: «Eine gute Selbstsicherheit ist etwas Grossartiges. Nur, wer sich etwas zutraut, etwas wagt, ohne zu wissen, ob es dann auch klappt, kann Initiativen anstossen und Grosses bewirken.»

«Ein gutes, freches, mutiges Selbstbewusstsein pusht Menschen und lässt sie Aufgaben anpacken – auch einmal, ohne im Vornherein schon zu wissen, ob man das kann oder ob es auch klappt. Das bringt die Menschen vorwärts. Und ja, das entspricht nach wie vor dem Stereotyp eines ‹tollen Mannes›», sagt Bachmann, der 20 Jahre als Gewalt- und Männerberater gearbeitet hat. «Und zum Glück immer mehr auch dem Rollenbild einer tollen Frau.»

Ein gutes Beispiel, wo man Geschlechterunterschiede immer noch sehe, seien Stellenausschreibungen: «Wenn eine Frau drei von zehn Punkten nicht erfüllt, bewirbt sie sich häufig nicht, weil sie glaubt, das nicht zu können. Erfüllt ein Mann drei von zehn Punkten, fühlt er sich qualifiziert und probiert es einfach einmal. Und wieso auch nicht? Wir können ja einmal anfangen und auch in Aufgaben hineinwachsen.»

«Oft gilt die Regel, der Erste, Beste und Schnellste sein zu müssen»

Doch woher kommt das Verhalten? «Meines Erachtens liegt das an der Wettbewerbs- und Konkurrenzstruktur, innerhalb derer Männer schon als Jungen sozialisiert werden», erklärt Tholen. «Das führt dann auch oft zur Selbstüberschätzung.»

Die Selbstüberschätzung kann Vorteile mit sich bringen – etwa, wenn Männer dadurch höhere Positionen, bessere Löhne oder höhere Ziele anstreben, und diese dann auch erreichen. Oder, weil sie sich situativ Aufmerksamkeit verschaffen könnten, wie Tholen sagt.

Doch negative Folgen stellten sich ein, wenn sich das, was man sich anmasst zu sein und zu können, als Schein oder Betrug erweist. «Dann ist die Gefahr gross, Vertrauen beziehungsweise Wertschätzung zu verlieren.» Und nicht nur das: Auch das Risiko, sich ernsthaft zu verletzen, gefährliche Manöver oder fahrlässige Handlungen zu begehen, steigt – etwa, wenn man glaubt, ein riesiges Flugzeug ohne Erfahrung landen zu können.

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