BüHRLE KAUFTE VORZUGSWEISE AUS JüDISCHEN SAMMLUNGEN

Herkunftsangaben mit Lücken und Fehlern: Der Historiker Raphael Gross fordert eine umfassende Untersuchung der Herkunft der Bilder in der Bührle-Sammlung des Kunsthauses.

Noch dürfen sie hängen bleiben, die Bilder der Sammlung Bührle im Kunsthaus Zürich. In gewissem Sinne also Entwarnung. Aber Raphael Gross, Zürcher Historiker und Präsident des Deutschen Historischen Museums in Berlin, kommt in seinem am Freitag vorgestellten Bericht zur bisherigen Provenienzforschung der Stiftung Sammlung Bührle zu einem vernichtenden Urteil. Sie entspreche in keiner Weise den Standards, die für eine unabhängige Provenienzforschung gelten würden. Im Gegenteil, die Provenienzforschung der Bührle-Stiftung sei interessengeleitet gewesen und weise viele Unklarheiten bei ihren Herkunftsangaben auf. 

Empfehlungen an die Kunstgesellschaft

Er empfiehlt darum der Zürcher Kunstgesellschaft, den grössten Teil der 205 Bilder, welche die Bührle-Stiftung im Kunsthaus als Leihgabe deponiert hat, einer neuen, tiefgreifenden Provenienzrecherche zu unterziehen. Es gehe darum, Klarheit zu bekommen über die Herkunft von Bildern aus jüdischem Vorbesitz in der Sammlung Emil Bührle. Es geht um die Frage, ob die Bilder unter Zwang oder Nötigung verkauft wurden, denn viele jüdische Sammler wurden von den Nazis enteignet und hatten auf ihrer Flucht nicht viel mehr als ihre Bilder, um ihr Leben zu finanzieren. Man spricht in diesem Zusammenhang von NS-verfolgungsbedingtem Entzug.

Zweitens muss die Zürcher Kunstgesellschaft laut Gross ein Gremium einsetzen, das ein Prüfschema für Bilder aus jüdischem Vorbesitz entwickelt. Das soll dann sowohl für die eigene Sammlung des Kunsthauses wie auch für die Dauerleihgabe angewendet werden. Schliesslich soll die Zürcher Kunstgesellschaft eine öffentliche Auseinandersetzung mit dem Titel «Sammlung Bührle» führen, die nicht nur die Bilder, sondern auch den Sammler Emil G. Bührle thematisiert, der mit seinen Waffengeschäften und seiner Beschäftigung von Menschen in Konzentrationslagern eine hoch problematische Figur sei.

Konkret hat sich die Untersuchung des Teams von Raphael Gross exemplarisch fünf Kunstwerken gewidmet, deren Provenienzen in einer sogenannten Tiefenuntersuchung erforscht wurden. Gross sagte dazu an der Pressekonferenz, dass jede Provenienzrecherche bei Bildern der Bührle-Stiftung von den Ergebnissen der Bührle-Stiftung ausgehen müsse. Er hält sie durchaus für brauchbar, aber in vielen entscheidenden Punkten für lückenhaft. So tauche in den online zugänglichen Provenienzlisten praktisch nie das Wort Jude oder Jüdin auf, dabei sei das doch gerade das Entscheidende bei der Beurteilung, ob ein Bild als NS-verfolgungsbedingter Verlust bezeichnet werden könne.

Bührle profitierte von den geflüchteten Juden

Gross hält auch die Kategorien, die in der Provenienzforschung der Bührle-Stiftung angewandt werden, für unbrauchbar. Diese Kategorien würden vorgaukeln, dass die meisten Bilder in der Sammlung problemlos seien. Dabei hätten gerade die Untersuchungen seines Teams ergeben, dass eine sehr hohe Zahl, Gross spricht von 132 Bildern, jüdische Vorbesitzer hatte. Viele von ihnen wurden von den Nazis enteignet, entrechtet und vertrieben und mussten ihre Kunstschätze aus Not verkaufen, um sich ihr Leben auf der Flucht zu finanzieren. Von ihrer tragischen Situation profitierte Bührle, denn «ohne Verfolgung der jüdischen Sammler wäre die Sammlung Bührle so nie zustande gekommen».

Exemplarisch ging Gross auf die Herkunftsgeschichte von Vincent van Goghs «Kopf einer Bäuerin» (1885) ein, das von der Bührle-eigenen Provenienzforschung in die Kategorie B eingeordnet wird. Dieser gehören Werke an, bei denen kein Hinweis auf NS-verfolgungsbedingten Entzug besteht. Das Bild wurde am 20. Oktober 1932 von dem jüdischen Kunstsammler Dr. Gustav Schweitzer, einem Juristen und Unternehmer, beim Auktionshaus Cassirer in Berlin eingeliefert, aber dort nicht verkauft, wie der Onlinekatalog der Sammlung Bührle behauptet. Vielmehr haben die Bilderdetektive von Gross herausgefunden, dass alle Gebote für das Bild unter der vom Auktionshaus Cassirer gesetzten Limite von 5000 Reichsmark lagen. 

Also ging das Bild höchstwahrscheinlich zurück an den jüdischen Eigentümer. Die Forscher aus Gross’ Team vermuten, dass es sich dabei um Gustav Schweitzer selbst oder einen anderen jüdischen Eigentümer handeln könnte, was man aber noch genau prüfen müsste. Jedenfalls scheint die Unbedenklichkeitserklärung der Bührle-Stiftung in diesem Fall nicht haltbar, sondern bedarf weiterer Untersuchungen. 

Komplexe Forschung

Deutlich wurde an diesem Beispiel, dass es sich um enorm komplizierte Forschungsarbeiten handelt, die über weite Teile der Bührle-Sammlung ausgedehnt werden müssen, um Klarheit darüber zu bekommen, welche Bilder restituiert werden müssen und bei welchen man eine einvernehmliche Lösung mit den Erben der ehemaligen Besitzer finden sollte. Nächste Woche will Gross seine Ergebnisse mit Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) diskutieren. Das vorgeschlagene Forschungsprogramm dürfte einiges kosten.

Reaktionen aus der Politik

Welche Folgen der Bericht haben wird, bleibt vorerst unklar. Die Zuständigen von Stadt Zürich, Kanton und Kunstgesellschaft wollen sich Mitte Juli dazu äussern. Sie haben den Bericht am Mittwoch erhalten.

Der grüne Gemeinderat Markus Knauss gehört dem «Runden Tisch» an, jenem Gremium, das Raphael Gross mit dem Verfassen des Berichts beauftragt hat. Knauss hatte im Stadtparlament die Massnahme angestossen. Die drei Empfehlungen des Berichts unterstütze er voll und ganz, sagt er. Nun müsse schnell etwas passieren, als Hauptverantwortliche sieht Knauss Corine Mauch.

Mauchs Partei, die SP, fordert ebenfalls eine «lückenlose Aufklärung der Provenienzen». Das schreibt die SP in einer Mitteilung. Wie das Kunsthaus künftig mit der Sammlung Bührle umgehen solle, gelte es «ohne Tabus» zu prüfen. Auch ein Ausschluss der Bührle-Bilder müsse zur Debatte stehen.

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