BöSE DENKER: EMMANUEL FAYE WILL MARTIN HEIDEGGER ALS FASCHISTISCHEN PSEUDO-PHILOSOPHEN ENTLARVEN UND WIRFT HANNAH ARENDT VOR, DIE NAZIS ZU ENTLASTEN

Die Philosophie Martin Heideggers steht seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, ja schon seit 1933 in dem Ruf, weltanschauliche Elemente des Nationalsozialismus übernommen zu haben. Das hatte man über Jahrzehnte einer politischen Verirrung des Denkers angekreidet. Doch im Jahr 2005 erschien ein Buch des französischen Philosophen Emmanuel Faye. Er stellte die These auf, Heidegger habe den Nationalsozialismus in die Philosophie eingeführt mit dem Ziel, diese zu zerstören.

Rund zehn Jahre später wiederholte er diese These. Dieses Mal stellte er dem Meister seine Margarita, Hannah Arendt, an die Seite: Während Heidegger einen geistigen Nationalsozialismus propagiert habe, sei Arendt bemüht gewesen, die Intellektuellen zu entlasten, die sich in den Dienst der Nazis stellten. Nun liegt das Buch in deutscher Übersetzung vor.

Faye empfand die Veröffentlichung von Heideggers «Schwarzen Heften» seit 2013 als Bestätigung seiner These. Immer wieder betonte er: Heidegger sei auf verborgene Art und Weise in die Weltanschauung des Nationalsozialismus verliebt gewesen. Er habe sich nur als Philosoph getarnt und sei tatsächlich ein böser Zerstörer des Denkens. Dieser These ist Faye treu geblieben. Das neue Buch enthält keine neuen Erkenntnisse zu Heidegger, sondern widmet sich vor allem Hannah Arendt.

Der Begriff Verantwortung

Faye unterzieht Arendts Hauptwerke, die «Elemente und Ursprünge der totalen Herrschaft» sowie «Vita activa» und «Eichmann in Jerusalem», einer genauen Interpretation. Er berücksichtigt, um philologische Exaktheit bemüht, die englischen Originale. Schnell wird klar, worum es geht: Arendt und Heidegger sollen eine Zerstörungs-Symbiose eingegangen sein, in der sie einander unterstützt hätten.

Faye stellt sich damit gegen den Hauptstrom der Arendt-Rezeption. Diese degradiert die Denkerin zu Everybody’s Darling und marginalisiert dabei ihre oft provokanten, keineswegs mehrheitsfähigen Ideen. Mag sein, dass es sogar einen «Arendt-Kult» gibt, wie Faye konstatiert. Aber was Faye dabei entdeckt haben will, schiesst über eine womöglich nötige Korrektur vieler Arendt-Lektüren weit hinaus.

Faye stellt die These auf, Arendt betrachte die «Opfer [der Schoa] als Mitverantwortliche, wenn nicht sogar als Hauptverantwortliche». Sie sei also der Auffassung, dass eigentlich die Juden, nicht die Nazis, den von ihr sogenannten «Verwaltungsmassenmord» veranlasst hätten. Dass er bei Heidegger einen ähnlichen Gedanken findet, liegt auf der Hand.

Das arbeitende Tier

Tatsächlich verwendet Arendt im Antisemitismus-Kapitel der «Elemente» das Wort «Verantwortung». Doch sie denkt dabei keineswegs an eine Täter-Opfer-Umkehr. Sondern macht vielmehr deutlich, dass die Verurteilung der Juden zur blossen Passivität selbst antisemitische Züge trägt. So, als ob die Juden Schafe gewesen seien, die man widerstandslos zur Schlachtbank führen konnte. Der Hinweis auf die Verantwortung der Juden für sich macht diese noch lange nicht zu «Hauptverantwortlichen», sondern nur zu mithandelnden Menschen.

Eine andere «gefährliche» Tendenz will Emmanuel Faye darin entdecken, dass Arendt vom Menschen als «animal laborans», dem arbeitenden Tier, spricht. Und dass sie im Imperialismus-Kapitel der «Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft» eine Sicht auf die indigene Bevölkerung Afrikas entwirft, die schon seit langem Kritik provoziert. Zur Stützung von Fayes These trägt dies wenig bei. Natürlich findet man bei Arendt auch konventionelle, dem Zeitgeist verpflichtete Ansichten. Eine Formel wie die vom «animal laborans» als «Entmenschlichung» zu verstehen, ist allerdings kurzsichtig.

Faye wirft Arendt auch vor, sie habe «so gut wie nie zwischen Konzentrations- und Vernichtungslager» unterschieden. Das sei «gefährlich», letztlich «zerstörerisch». Dies verkennt, dass die englische Ausgabe der «Origins of Totalitarianism» 1951 erschien. Was die Terminologie der Totalitarismus-Forschung betrifft, bewegte sich Arendt sechs Jahre nach Kriegsende auf Neuland, obwohl schon einige Untersuchungen zum Thema erschienen waren. Stalin lebte damals noch.

Die Idee der Menschheit

Man könnte sich also fragen, seit wann die Unterscheidung zwischen Konzentrations- und Vernichtungslager eigentlich Standard geworden ist. Doch Faye fragt nicht. Sondern unterstellt, Arendt verfolge mit der fehlenden Differenzierung eine dunkle Absicht. Allerdings schreibt er: «so gut wie nie», was heisst, dass sie durchaus von «concentration and extermination camps» spricht, während die Sache selbst für sie ohnehin klar ist. Worum geht es also? Man verliert den Faden.

Als besonders problematisch kritisiert Faye, Arendt habe «jeglichen Horizont der Universalität abgewiesen». Nun gibt es in den «Elementen» tatsächlich eine Kritik an den «Menschenrechten», die Faye ausführlich berücksichtigt. Allerdings geht es Arendt nicht darum, die Idee der Menschenrechte als verfehlt abzutun. Sie verweist lediglich darauf, dass es in den 1920er und 1930er Jahren keine Institution gegeben habe, die diese Rechte wirkungsvoll habe vertreten können. Solche Differenzierungen interessieren Faye allerdings nicht.

Gewiss ist Hannah Arendt im Umkreis der Existenzphilosophie intellektuell sozialisiert worden. Sie kennt und betont daher die Endlichkeit des Menschen in jeder Hinsicht. Doch allein dass sie den «Verwaltungsmassenmord» an den Juden schon früh als einen Massenmord am Menschen und nicht an einem spezifischen Volk betrachtet hat, verweist auf die Idee der Menschheit.

Die Vernunft muss sich selbst zerstören

Was Fayes Thesen so problematisch macht, ist nicht nur ihre Konstruiertheit und die fehlende Genauigkeit, sondern auch ihre simple Mechanik. Immer wieder zieht er einfache Schlüsse, deren Bedeutung er mit «somit bestätigt sich» unterstreicht — als müsse man bei Arendt und Heidegger nur eins und eins zusammenzählen, damit die Zerstörung schon unübersehbar herauskommt.

Vor allem aber setzt Faye das Denken der Aufklärung, die Philosophie der universellen Vernunft als nicht hinterfragbar voraus. Daraus bezieht er gültige Evidenzen, vor deren Hintergrund er alles bewertet und verurteilt. Solche Evidenzen aber gibt es in der Philosophie nicht. Die Vernunft muss sich stets argumentativ bewegen, um nicht selbst zu einem zerstörerischen Dogma zu versteinern. Kants Denken liefert keine unumstösslichen Wahrheiten, wie Faye voraussetzt. Es bietet lediglich Einsichten, die ihren prekären Charakter nicht verleugnen.

Faye ignoriert, dass sich in der Philosophie seit Nietzsche ein Denken Bahn bricht, das den von Faye so eifrig zitierten Evidenzen das Vertrauen aufgekündigt hat. Können wir der Vernunft ganz ohne Widerspruch das Wort geben? Haben wir die Aufklärung, der, nicht nur historisch betrachtet, auch die Rassentheorie entspringt, wirklich ganz verstanden?

Hannah Arendt und Martin Heidegger und viele andere wollten und konnten dieser historischen Schwelle zum Denken des 20. Jahrhunderts nicht ausweichen. Fayes These, sie seien Zerstörer der Vernunft, verkennt, dass sich die Vernunft nur bewähren kann, wenn sie sich selbst der Zerstörung aussetzt. Man kann, wie Emmanuel Faye, genau diese Dialektik zerstören. Der Vernunft erweist man damit allerdings einen Bärendienst.

Emmanuel Faye: Hannah Arendt und Martin Heidegger. Zerstörung des Denkens. Aus dem Französischen übersetzt von Leonore Bazinek. Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2024. 476 S., Fr. 61.90.

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