BANKSY LäSST FLüCHTLINGS­BOOT üBER FESTIVAL-PUBLIKUM WOGEN

Unten Weltflucht, oben Nationalismuskritik: Der Street-Art-Künstler inszeniert ein Kunstwerk am Glastonbury-Open-Air – zum Auftritt einer Band, die Israel Faschismus vorwirft.

Direkt ein gewisses Spannungsverhältnis: unten die Masse, feiernd, aufgeputscht, wogend, im Schnitt bestimmt betrunken und dem Exzess also wohl näher als dem Politdiskurs. Und oben dieses Schlauchboot. An sich kein neues Bild auf Festivals wie diesem (es ist das britische Glastonbury). Viele Bands haben solche Überfahrten in ihre Shows eingebaut – Deichkind, zum Beispiel, oder Rammstein.

Man kann sich das also auch gut bei den Idles vorstellen, der zumindest musikalisch sehr zu begrüssenden Post-Punk-Hardcore-Irgendwas-Rüpelbande aus Bristol, Grossbritannien, die mit ihrem Nadeldrucker-schnellen Gitarren-Stakkato und den ADHS-wuseligen Weltbeschimpfungen zuletzt Platz eins der britischen Album-Charts belegten. Aber irgendwas stimmt auch nicht.

Banksy soll Aktion inszeniert haben

Im Boot sitzen offenbar Puppen in orangefarbenen Schwimmwesten. Viele Puppen für das kleine Boot, und die werden, mit starrer Körperhaltung, die Gesichter von Kapuzen verhüllt, hin- und hergeworfen. Sie wirken – womöglich intendiert, vielleicht aber auch nicht – ein klein wenig entmenschlicht. Unten spritzt also das Bier. Oben ist Politagitation. Unten ist Weltflucht. Und oben ein Flüchtlingsboot. Wie sich nach dem Auftritt herausstellte, soll der anonyme Street-Art-Künstler Banksy das Ganze inszeniert haben. Aktionskunst also.

Und darin ja zunächst mal durchaus stimmig. Banksys Kunst funktioniert, wenn sie funktioniert, weil sie die Menschen dort irritiert, wo Irritation zunächst nicht vorgesehen ist: an Hauswänden, Wahrzeichen oder dort, wo die Politik allzu deutlich den Verstand verloren hat. Ein Festival passt da ziemlich gut rein, zumal wenn eine Band wie die Idles im Song «Danny Nedelko» gerade singt: «My blood brother is an immigrant / A beautiful immigrant».

Für vollends grosse Kunst ist das Ganze womöglich etwas viel «preaching to the choir» – man ist sich beim Auftritt einer schwerstprogressiven Band mit sozialistischem Einschlag alles in allem ja vermutlich einigermassen einig über Fragen der Migrationspolitik. Aber es muss ja auch nicht immer vollends grosse Kunst sein.

Nationalismuskritik und Faschismus-Vorwurf

Allerdings wären da freilich wieder diese verfluchten Details. Die Idles hatten am selben Abend auch wieder ihre «Viva Palestina»-Rufe zelebriert. Legitime Meinungsäusserung. Allerdings hatten die Briten den Song «Danny Nedelko» auch bei ihrem Konzert in Berlin gespielt. «Jetzt kommt ein antifaschistisches Lied», sagte Sänger Joe Talbot damals. Und dann: «Deshalb widmen wir es euch hier in Deutschland.» Zusatz: «Und den tapferen Menschen in Palästina!» Impliziter Zusatz: Die Palästinenser wehren sich gegen Faschisten.

Ein gewisses Spannungsverhältnis also auch hier. Unten Entgrenzung. Oben Nationalismuskritik. Und ganz oben, auf der Bühne, eine Band, die Israel, in blinder Geschichtsvergessenheit, Faschismus vorwirft. Und all das womöglich intendiert, vielleicht aber auch nicht.

Starten Sie jeden Tag informiert in den Tag mit unserem Newsletter der Morgen. Melden Sie sich hier an.

2024-07-01T10:28:09Z dg43tfdfdgfd