«EINER DER TRAURIGSTEN TAGE MEINES LEBENS» – SO HADERN ÖSTERREICHS SPIELER MIT DEM EM-OUT

Die Österreicher begeisterten in der Gruppenphase mit ihrer mutigen, kämpferischen Spielweise und verdienten sich europaweit Respekt. Die Niederlage gegen die Türkei kommt deshalb ein wenig überraschend – auch für die Österreicher selbst, wie die Reaktionen zeigen.

Frankreich zum Auftakt aufs Äusserste gefordert und nur auf bittere Art und Weise verloren, dann Polen problemlos und zum Schluss die Niederlande beeindruckend geschlagen: Obwohl bekannt war, dass der österreichische Kader auf dem Platz und an der Seitenlinie viel Qualität mitbringt, war die Gruppenphase, die die Truppe von Ralf Rangnick spielte, eine Überraschung.

Als Gruppenerster zogen die Österreicher in den Achtelfinal ein. Erstmals hatte der vermeintliche Geheimfavorit gegen die Türkei, die in der Gruppe mit Portugal, Tschechien und Georgien auf dem zweiten Rang landete, die Favoritenrolle inne.

Und in oder an dieser scheiterten sie. Die leidenschaftlich verteidigenden Türken waren kaum zu knacken, es fehlte auf österreichischer Seite der Spielwitz und die Energie, mit der sie in der Gruppe noch für Begeisterung zu sorgen vermochten. Der Geheimfavorit landete auf dem harten Boden der Realität.

Hier geht es zum Spielbericht:

Geh-Heim-Favorit statt Geheimfavorit – Österreichs EM-Traum endet gegen die Türkei

Entsprechend gedrückt, frustriert, ja angefressen war die Stimmung im österreichischen Lager nach Schlusspfiff – ganz im Gegensatz zu jener auf türkischer Seite. Eine Übersicht zu den Reaktionen.

Ralf Rangnick (Trainer Österreich)

Der deutsche Trainer der Österreicher, vor der Partie als Taktik-Mastermind und Liebling der Nation gefeiert wurde, analysierte im österreichischen TV nach Schlusspfiff ausführlich, woran es gehapert hatte:

«Ich glaube nicht, dass die Mannschaft gewonnen hat, die über das gesamte Spiel die bessere Mannschaft war.»

«Aber darum geht es im Play-off nicht. Im Play-off geht es darum, Spiele zu entscheiden.»(...)«Wenn man sieht, was wir heute alles in dieses Spiel investiert haben und wie viele Torchancen wir ausgelassen haben, dann fühlt sich das Ganze schon ziemlich grotesk und surreal an. Der einzige Vorwurf ist, dass wir zu wenige Tore gemacht haben und dass wir zweimal bei Standards nicht gut verteidigt haben.»

«Ich kann es eigentlich selber noch nicht glauben, dass wir morgen tatsächlich die Heimreise antreten sollen. Es fühlt sich sinnlos und unverdient an.»

Absage an die Bayern, Haltung gegen rechts: Wie Ralf Rangnick ganz Österreich begeistert

Michael Gregoritsch (Stürmer Österreich)

«Einer der schlimmsten Fussball-Abende, die ich erlebt habe.»

«Wir haben uns so viel vorgenommen, alles versucht – am Ende sind wir, glaube ich zumindest, unverdient ausgeschieden. Gratulation an die Türkei, sie haben leidenschaftlich verteidigt, aufopferungsvoll. Wir haben alles versucht, das bleibt hängen. Am Ende hat es nicht gereicht, schade, weil wir uns eigentlich nichts vorwerfen können.»

Gregoritsch hob aber auch die positiven Aspekte der österreichischen EM-Kampagne hervor und hatte eine politische Botschaft:

«So vereint hat Österreich eine Fussball-Mannschaft noch nie – so viele Leute sind hinter uns gestanden. Ich glaube, die Leute können es wertschätzen, das Land kann stolz sein, wie fair alles abgelaufen ist, es war überall ein friedliches Fussball-Fest. Die Botschaft in ganz Österreich und Europa ist, dass man sich nicht auseinandersetzen soll mit Differenzierung und rechten Gedanken, sondern vereint und stolz und glücklich sein sollte.»

Die Worte des Stürmers standen im krassen Gegensatz zu anderen Ereignissen rund um die Partie. Österreichische Fans skandierten zuvor während einer SRF-Liveschaltung ausländerfeindliche Parolen zur Melodie von «L'Amours Toujours». Und auf dem Platz zeigte der türkische Doppeltorschütze Merih Demiral eine rechtsextreme Jubelgeste (siehe weiter unten).

«Ausländer raus»-Rufe – Österreich-Fans sorgen bei SRF-Schaltung für Rassismus-Eklat

Maximilian Wöber (Verteidiger Österreich)

«Im Moment ist da einfach nur Leere in allen.»

«Wir haben eine Euphorie entfacht, nicht nur in Österreich, auch in der Mannschaft. Wir haben geglaubt, dass wir sehr viel erreichen können, jetzt ist sehr viel Enttäuschung da.»

Christoph Baumgartner (Verteidiger Österreich)

«Es ist sicher einer der traurigsten Tage meines Lebens.»

«Ich bin sehr, sehr enttäuscht. Ich tu' mich sehr schwer, die richtigen Worte zu finden. (...) In solchen Momenten ist es schwer, irgendwas Positives mitzunehmen, weil die Enttäuschung so gross ist. Es war nicht mein Spiel heute, es gab einige Situationen, die sehr unglücklich waren. Es ist so enttäuschend, weil so viel drin gewesen wäre.»

Marko Arnautovic (Stürmer Österreich)

Auch der 35-jährige Captain der Österreicher war nach Spielende geknickt. Er deutete zudem das Ende seiner Nationalmannschaftskarriere an.

«Es ist brutal und sehr bitter.»«Es kann sein, dass es das letzte Match für mich war …»​

Er müsse aber zuerst noch mit seiner Familie besprechen, wie es weitergehen solle, so Arnautovic.

Merih Demiral (Verteidiger Türkei)

Merih Demiral war auf Seiten der Türkei der grosse Held. Der bei Al-Ahli in Saudi-Arabien unter Vertrag stehende 26-Jährige traf doppelt, ganz zu Beginn und nach einer knappen Stunde.

«Die ganze Mannschaft hat grossartig gespielt. Ich bin sehr glücklich und sehr stolz. Die ganze Mannschaft hat ein tolles Spiel gemacht. Wenn es Gottes Wille ist, wird es so weitergehen. Ich danke allen.»

Sein zweiter Treffer – respektive sein Jubel danach – dürfte aber noch zum Thema werden. Demiral zeigte einen Gruss, der der rechtsextremen türkischen Szene zugeordnet wird. Womöglich droht ihm deshalb eine Sperre für den Viertelfinal gegen die Niederlande.

Demiral äusserte sich nach Spielschluss laut ZDF wie folgt zu seiner Jubelgeste:

«Wie ich gefeiert habe, hat etwas mit meiner türkischen Identität zu tun. Deswegen habe ich diese Geste gemacht. Ich habe Leute im Stadion gesehen, die diese Geste auch gemacht haben.»

«Wir sind alle Türken, ich bin sehr stolz darauf, Türke zu sein und das ist der Sinn dieser Geste.»

Er habe nur demonstrieren wollen, wie stolz er sei und wie sehr er sich freue. Er hoffe, dass es noch viele Gelegenheiten geben werde, die Geste zu zeigen.

«Wolfsgruss»: Demiral zeigt rechtsextreme Jubelgeste nach zweitem Tor

Mert Günok (Torhüter Türkei)

Auch Günok hatte mit einer fabelhaften Parade kurz vor Schluss grossen Anteil am türkischen Viertelfinaleinzug. Er sagte nach der Partie:

«Wir sind sehr glücklich, es ist schwierig, Worte zu finden. Es war ein grossartiger Sieg, ich danke allen, die uns unterstützt haben. Wir haben noch einen langen Weg vor uns, und wenn es Gottes Wille ist, werden wir ihn bis zum Ende gehen. Daran glauben wir. Dieser Sieg hat uns in Bezug auf Moral und Selbstvertrauen auf die nächste Stufe gehoben.»

Vincenzo Montella (Trainer Türkei)

Der italienische Trainer der Türken, Vincenzo Montella, hob nach dem Schlusspiff vor allem den Teamgeist und die Leidenschaft seiner Spieler hervor:

«Ich bin sehr stolz auf die Mannschaft, welchen Teamgeist sie gezeigt hat. Es ist fantastisch, wenn man das als Trainer sieht. Österreich hat sehr wenige Tore kassiert und wir haben trotzdem zweimal aus Standardsituationen ein Tor geschossen. Solche Dinge passieren nicht, wenn man nicht grossen Teamgeist zeigt. Ich habe heute das Herz der Türken gesehen, das freut mich.»

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(con)

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