WIRD KAMALA HARRIS BALD SCHON DIE ERSTE US-PRäSIDENTIN?

Gut möglich, dass Joe Biden schon in den nächsten Tagen zurücktritt und seiner Vize Platz macht.

Alternde Sportler kennen das Gefühl: Man weiss zwar genau, was man jetzt tun müsste, man hat die Situation perfekt eingeschätzt – doch der Körper will nicht mehr. Joe Biden muss sich wie dieser alternde Sportler fühlen: Er weiss genau, was zu tun ist, aber er kann es nicht mehr umsetzen. Die Tage, an denen er in der Champions League spielen kann, sind vorbei (Ronaldo lässt grüssen).

Nicht nur Biden kennt dieses Gefühl, auch seine Freunde und seine Sympathisanten. Deshalb wächst der Druck auf den Präsidenten stündlich, auf eine Kandidatur für eine Wiederwahl zu verzichten. Die «New York Times» beispielsweise, der man vieles vorwerfen kann, nicht jedoch übertriebene Liebe zu Donald Trump, fordert Biden täglich auf, loszulassen.

In einer langen Reportage zitiert das Blatt Leute aus dem engeren Umkreis des Präsidenten, die besorgt darauf hinweisen, dass sich Bidens mentale Fitness in jüngster Zeit bedrohlich verschlechtert habe. «Mehrere aktuelle und frühere Mitarbeiter und andere, die mit ihm hinter geschlossenen Türen zu tun hatten, stellen fest, dass er zunehmend verwirrt und teilnahmslos wirkt, oder dass er den Gesprächsfaden verliert», schreibt die «New York Times».

Thomas Friedman, langjähriger Starkolumnist des Blattes und persönlicher Freund Bidens, fordert ihn bereits zum zweiten Mal dringend auf zurückzutreten. Anders als vor vier Jahren sei Biden dieses Mal nicht der Schreckens-, sondern der Wunschkandidat von Donald Trump, so Friedman.

Auch innerhalb der demokratischen Partei werden erste Stimmen laut, die Biden zum Rücktritt auffordern. Lloyd Doggett, ein Abgeordneter aus Texas, erklärt: «Anstatt die Wähler zu beruhigen, ist es dem Präsidenten nicht gelungen, seine Leistungen ins rechte Licht zu rücken und Trumps Lügen zu entlarven.»

Doggett weist auch auf einen Umstand hin, der für Biden und die Partei tödlich sein könnte. In vielen Bundesstaaten haben die demokratischen Senats-Kandidaten deutlich bessere Umfragewerte als der Präsident. «Sollten wir jedoch nicht in der Lage sein, eine effektivere Kampagne zu führen, könnten wir gar die Mehrheit im Senat verlieren», so Doggett.

Er ist keine einsame Stimme in der Partei mehr. Selbst Barack Obama soll gemäss «Washington Post» im privaten Kreis die Befürchtung geäussert haben, es werde für Biden immer enger. Nancy Pelosi, die Grand Old Lady der Demokraten, äusserte sich ebenfalls kryptisch: Es sei «legitim zu fragen», ob Biden bloss einen schlechten Abend erwischt habe, oder ob es sich um einen «Dauerzustand» handle.

Die Demokraten müssen sich entscheiden, ob sie weiterhin zu Biden stehen wollen, und sie müssen es rasch tun. Deshalb steigt die Wahrscheinlichkeit eines Rücktritts des Präsidenten. Er kann dies auf zwei Arten tun: Er beendet seine Amtszeit, gibt aber die in den Vorwahlen gewonnenen Stimmen frei und ermöglicht so eine Wahl einer neuen Kandidatin oder eines Kandidaten am Parteitag im August.

Biden war bei der Debatte «müde» – wir hätten hier 10 weitere (Kinder-)Ausreden

Es gibt jedoch auch eine zweite, bisher weitgehend übersehene Möglichkeit: Biden tritt sofort als Präsident zurück und übergibt das Amt seiner Vizepräsidentin Kamala Harris. Dieses Szenario ist nicht so unwahrscheinlich, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Und das sind die Gründe:

  • Die angebliche Unbeliebtheit von Harris ist eine Mär. Gemäss FiveThirtyEight, einem führenden Umfrageportal, hat die Vizepräsidentin bessere Zustimmungswerte als ihr Chef (39,4 Prozent gegen 37,5 Prozent). Die jüngste Umfrage von CNN hat ergeben, dass Trump gegenüber Biden mit 49 zu 43 Prozent führt. Bei Harris hingegen schrumpft dieser Vorsprung auf 47 zu 45 Prozent.
  • Als Präsidentin hätte Harris den Vorteil des «bully pit», will heissen: Sie könnte das gesamte Gewicht des Amtes in die Waagschale werfen, und das ist nicht wenig.
  • Harris hat sich vor allem in der Abtreibungsfrage profiliert, und diese Frage könnte im November entscheidend sein.
  • Ein sofortiger Rücktritt würde ein befürchtetes Chaos am Parteitag verhindern.

Derzeit spricht vieles für eine Wiederwahl Trumps. Bidens katastrophaler Debatten-Auftritt, das Skandal-Urteil des Supreme Court, beides ist Wind in den Segeln des Ex-Präsidenten. Ein vorzeitiger Rücktritt Bidens würde die Ausgangssituation schlagartig verändern: Mit 79 Jahren wäre Trump nun der «alte Kandidat», Harris ist mit 59 Jahren deutlich jünger. Die Vize-Präsidentin hat zudem mehrmals bewiesen, dass sie eine ausgezeichnete Debattiererin ist, und mit Frauen hat Trump eh ein Problem.

So düster die Lage derzeit scheinen mag – es ist noch längst nicht entschieden. Die Demokraten wissen, was auf dem Spiel steht, sie werden sich nicht gegenseitig zerfleischen. Und möglicherweise vermasselt der inzwischen offen korrupte Supreme Court Trump die Wiederwahl: Die Aufhebung der legalen Abtreibung, das «Trump ist König»-Urteil, beides ist bei der Bevölkerung extrem unpopulär, und beides ist ein riesiger Motivationsschub für die demokratische Basis.

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