TRUSS ABGESTRAFT, FARAGE ERSTMALS GEWäHLT – WAHL ENDET FüR PROMINENTE BRITEN DRAMATISCH

Brexit-Vorkämpfer Jacob Rees-Mogg und Ex-Premier Liz Truss verlieren ihren Sitz, Ex-Labour-Chef Jeremy Corbyn und Reform UK-Chef Nigel Farage schaffen die Wahl.

Nach der Wahl in Grossbritannien bleibt kaum ein Stein auf dem anderen. Auch für ehemals prägende Figuren in der politischen Landschaft hat dies grosse Auswirkungen. Eine Auswahl:

Liz Truss abgewählt

Die frühere britische Premierminister Liz Truss hat ihren Sitz im britischen Unterhaus verloren. Die 48-Jährige musste sich in ihrem Wahlkreis dem Herausforderer der Labour-Partei geschlagen geben. Die konservative Politikerin ist als Premierministerin mit der kürzesten Amtszeit Grossbritanniens in die Geschichte eingegangen. Sie behielt die Schlüssel zum Regierungssitz 10 Downing Street nur 49 Tage lang, nachdem sie 2022 Boris Johnson beerbt hatte.

Eine Boulevardzeitung hatte damals als Scherz bei ihrem Amtsantritt einen Salatkopf neben einem Foto der damaligen Regierungschefin platziert und die Szene per Livestream ins Internet gestellt. Es ging darum, was länger währt, der Salat oder Truss als Premierministerin. Der Salat gewann.

Truss musste im Oktober 2022 zurücktreten, nachdem ihre Ankündigung massiver Steuersenkungen eine Krise an den Finanzmärkten ausgelöst hatte. Nach ihrem Auszug aus der Downing Street rückte sie weiter ins rechtspopulistische Lager und machte eine angebliche linksliberale Verschwörung für ihr Scheitern verantwortlich.

Im achten Anlauf: Farage gewinnt Parlamentssitz

Nigel Farage, der Vorsitzende der Partei Reform UK, hat bei den Wahlen für das britische Unterhaus einen Parlamentssitz ergattert. Er setzte sich im Wahlkreis Clacton-on-Sea durch – nach zuvor sieben gescheiterten Versuchen, Abgeordneter des britischen Parlaments zu werden. Reform UK, die die Nachfolge der Brexit-Partei Ukip antrat, setzte im Wahlkampf auf einwanderungsfeindliche Rhetorik und warb damit sowohl Wähler der Konservativen als auch der Labour Party ab, wie aus Teilergebnissen der Wahl vom Donnerstag hervorging.

Farage erklärte, seine Partei werde in «Hunderten von Wahlkreisen» auf dem zweiten Platz landen. Wie viele Sitze sich die Partei sichern kann, war zu dem Zeitpunkt noch unklar. Auf der rechten Seite der britischen Politik gebe es eine «massive Lücke», sein Job sei es, diese zu füllen, sagte Farage. Sein Ziel sei es, in den kommenden Jahren eine nationale Massenbewegung aufzubauen.

Niederlage für Brexit-Vorkämpfer Jacob Rees-Mogg

Haare stets akkurat gescheitelt, zweireihiger Nadelstreifen-Anzug und Oberklasse-Akzent: Der konservative Brexit-Advokat Jacob Rees-Mogg war einer der schillerndsten Politiker im britischen Parlament – nun hat er seinen Sitz im Unterhaus verloren. Sein Wahlkreis im Südwesten Englands ging an den Herausforderer der sozialdemokratischen Labour-Partei, die einen beispiellosen Wahlerfolg feiert.

Rees-Mogg sass seit 2010 für die Tories im Unterhaus. Zu Prominenz über die Landesgrenzen hinaus gelangte er es insbesondere während der Verhandlungen über den EU-Austritt, als er die informelle Gruppe European Research Group (ERG) von Brexit-Hardlinern im Unterhaus anführte. Deren Widerstand gegen den von Ex-Premierministerin Theresa May ausgehandelten Brexit-Deal führte letztlich zum Rücktritt der Regierungschefin.

Unter Mays Nachfolger Boris Johnson stieg Rees-Mogg auf und bekleidete verschiedene Kabinettsposten. So war er unter anderem als Staatsminister für Brexit-Chancen dafür zuständig, angebliche wirtschaftliche Vorteile durch den EU-Austritt zu sichern. Viel vorzuweisen hatte er nicht.

Neben seinem altmodischen Auftreten und elitären Sprachgebrauch machte er immer wieder durch populistische Aussagen Schlagzeilen, die teils absurde Züge trugen. So verkündete er einmal im Unterhaus nach der Beschränkung von Fangrechten für Fischer aus der EU in britischen Gewässern: «Es sind jetzt britische Fische und damit bessere und glücklichere Fische.»

Spott und Kritik erntete Rees-Mogg, als er sich bei einer Debatte demonstrativ gelangweilt auf der Regierungsbank im Unterhaus ausstreckte.

Ex-Premierministerin May wird ins Oberhaus berufen

Die frühere britische Premierministerin Theresa May sitzt künftig im Oberhaus (House of Lords). Das teilte die britische Regierung mit. Der König habe gnädig seine Absicht bekundet, den folgenden Personen Adelstitel auf Lebenszeit zu verleihen, hiess es in der Mitteilung. Dann folgten die Namen verschiedener früherer Regierungsmitglieder, Abgeordneter und Mitarbeiter.

Welchen Titel May tragen wird, war zunächst nicht bekannt. Ihr Vorgänger David Cameron war im vergangenen Jahr ins Oberhaus berufen worden, als ihn Rishi Sunak zum Aussenminister in seinem Kabinett machte. Er darf sich seitdem Lord Cameron of Chipping Norton nennen.

May war erst die zweite Frau nach Margaret Thatcher (regierte 1979 – 1990), die an der Spitze der britischen Regierung gestanden hatte. Mays Regierungszeit stand ganz im Zeichen der Verhandlungen mit Brüssel über den EU-Austritt ihres Landes.

Sie musste 2019 zurücktreten, nachdem sie mehrfach mit ihrem Brexit-Abkommen im Unterhaus gescheitert war. May wurde von ihrem Parteikollegen Boris Johnson beerbt, der massgeblich an ihrem Sturz beteiligt war. Politisch überlebte sie ihn als Abgeordnete auf den Hinterbänken jedoch schliesslich.

Das House of Lords ist die zweite Kammer im britischen Parlament und entspricht im Gesetzgebungsverfahren ungefähr dem Ständerat. Die Abgeordneten werden jedoch auf Lebenszeit berufen und in den Adelsstand erhoben.

Historisch sind dort die Mitglieder der britischen Aristokratie vertreten, im Gegensatz zum Unterhaus (House of Commons), in dem vom Volk gewählte Abgeordnete sitzen. Nicht immer ist klar, welche Verdienste für eine Nominierung ausschlaggebend sind, daher kommt immer wieder der Vorwurf auf, die Regierung nutze die Vergabe, um etwa Günstlinge zu fördern oder Parteispender zu belohnen.

Früherer Labour-Chef Corbyn schafft Einzug ins Parlament

Der frühere Chef der Labour-Partei, Jeremy Corbyn, hat bei der Wahl zum britischen Unterhaus sein Mandat verteidigt. Dabei war er nach seinem Rauswurf aus der Labour-Fraktion wegen Antisemitismusvorwürfen als unabhängiger Kandidat angetreten.

Unter der Führung des 75-jährigen Alt-Linken hatte Labour bei der vergangenen Wahl 2019 eine herbe Niederlage erlitten. Er war von 2015 bis 2020 Chef der Sozialdemokraten und hatte sie weit nach links geführt. Besonders bei jungen Wählern genoss er zeitweise grosse Popularität. In der Parlamentsfraktion seiner Partei war er jedoch stets heftig umstritten.

Corbyn enttäuschte viele gemässigte Labour-Anhänger mit seiner gleichgültigen Haltung zum EU-Austritt. Später geriet er immer stärker in die Kritik, weil ihm vorgeworfen wurde, nicht energisch genug gegen antisemitische Tendenzen in seiner Partei vorzugehen. Auch ihm selbst wurde Antisemitismus vorgeworfen, beispielsweise, weil er radikale islamistische Organisationen wie die Hamas und Hisbollah als «Freunde» bezeichnet hatte. Später entschuldigte er sich dafür.

Das Parlamentsmandat für den Londoner Wahlbezirk Islington North hat er bereits seit 1983 inne. Für die längste Zeit seiner parlamentarischen Karriere galt er als Rebell. In diese Rolle ist er nun wieder zurückgekehrt.

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