SIEGERIN OHNE PREIS: GIORGIA MELONI FüHLT SICH BEI DER VERGABE DER EU-TOP-POSTEN üBERGANGEN

Die Entscheidung der europäischen Staats- und Regierungschefs, die Spitzenposten der EU an Ursula von der Leyen, António Costa und Kaja Kallas zu vergeben, hat bei Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni Empörung ausgelöst. «Der von den Konservativen, den Sozialisten und den Liberalen formulierte Vorschlag (. . .) ist methodisch und inhaltlich falsch. Ich habe beschlossen, ihn nicht zu unterstützen, aus Respekt vor den Bürgern und den Signalen, die von diesen Bürgern bei den Wahlen gekommen sind», schrieb Meloni in der Nacht auf Freitag auf X.

Es habe auch nicht ansatzweise eine Diskussion über die künftige Ausrichtung der europäischen Politik stattgefunden, klagte Meloni im Gespräch mit italienischen Pressevertretern in Brüssel. Es sei deshalb falsch, die Posten nun einfach nach einer «Mehrheits- beziehungsweise Oppositionslogik» zu vergeben.

Ein Deal ohne Meloni

Die Brüsseler Personalentscheidungen haben Meloni auf dem falschen Fuss erwischt. Nach dem Vormarsch ihrer Fratelli d’Italia und anderer Rechtsaussenparteien bei den Europawahlen erklärte sie, in der EU künftig eine «entscheidende Rolle» spielen zu wollen. Noch am G-7-Gipfel in Apulien wirkte sie selbstbewusst und aufgeräumt. Während die anderen dort anwesenden Staats- und Regierungschefs der EU-Länder noch an ihren Niederlagen kauten, sonnte sich Meloni im Glanz ihres Resultats.

Doch dann vergingen nur wenige Tage, bis Emmanuel Macron, Olaf Scholz und die Vertreter der europäischen Konservativen (EVP), zu denen Ursula von der Leyen gehört, die Sitzzahlen ihrer Parteien im Europaparlament addierten und einen Deal schusterten. Es würde, so stellten sie fest, auch ohne Giorgia Melonis Fratelli d’Italia knapp reichen. Meloni sah das Unheil kommen und liess ihrem Unmut schon im Vorfeld des Brüsseler Entscheids freien Lauf. Es gehe nicht an, dass eine kleine Gruppe von Politikern über die Vergabe der Spitzenjobs entscheide. Es sei genau diese Politik, welche die Stimmbürger bei den Europawahlen abgestraft hätten.

Ist das Tuch zerschnitten zwischen Brüssel und Rom? Muss man davon ausgehen, dass Melonis Fratelli d’Italia in der EU zusammen mit anderen europäischen Rechtsparteien nun einen harten Oppositionskurs fahren?

Tatsächlich kann man sich fragen, ob es besonders klug ist, eine EU-Gründernation wie Italien von wichtigen Personalentscheiden auszuschliessen und ausgerechnet eine Partei zu brüskieren, die in der EU-Politik bisher durch einen überraschenden Pragmatismus aufgefallen ist. Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk, einer der EVP-Dealmaker, beeilte sich denn auch, klarzustellen, dass es in der EU «kein Europa ohne Italien und keine Entscheidung ohne Giorgia Meloni» gebe.

Meloni schielt auf die EU-Kommission

Die Türen stehen also noch offen. Aus der Sicht der Von-der-Leyen-Fraktion ist das auch sinnvoll. Denn erstens ist die Mehrheit im Europaparlament so sicher nicht. Am 18. Juli, wenn es um die Bestätigung der Wahl der Kommissionspräsidentin geht, wird geheim abgestimmt, und man kann davon ausgehen, dass es in den Parteien Abweichler gibt, die dem von Macron, Scholz und Co. vorgestanzten Entscheid nicht zustimmen werden. Vielleicht ist man dann also doch noch froh um einige Stimmen der Fratelli d’Italia, die im Europaparlament in der Fraktion der sogenannten «Konservativen und Reformer» (EKR) sitzen.

Zum anderen dürften die Mittekräfte Interesse daran haben, dass die Rechtsaussenparteien im Europaparlament so zerstritten bleiben, wie sie es im Moment sind – vor allem in der Ukraine-Frage. Auch vor diesem Hintergrund wäre es wichtig, Meloni bis zum 18. Juli noch ins Von-der-Leyen-Lager zu ziehen.

Als schlaue Taktikerin weiss Giorgia Meloni um diese Zusammenhänge. Beobachter in Rom gehen davon aus, dass sie nun versuchen wird, ihre Leute in der EU-Kommission zu platzieren. Die Rede ist etwa von Europaminister Raffaele Fitto, einem früheren Berlusconi-Mann, der derzeit auch für die Verwendung der Gelder aus den Corona-Wiederaufbaufonds der EU zuständig ist. Genannt wird auch Verteidigungsminister Guido Crosetto, ein enger Vertrauter von Meloni. Gelingt es der Regierungschefin, Personen dieses Kalibers nach Brüssel zu entsenden, könnte sie sich die Sache mit von der Leyen womöglich noch einmal überlegen. Sicher wird sie zunächst aber das Wahlergebnis in Frankreich abwarten wollen, um zu beurteilen, wie sich die Kräfteverhältnisse in Europa entwickeln.

Enge Handlungsspielräume

Meloni ist bisher gut gefahren mit ihrem gemässigten Kurs in Europa. Die Kommentatoren der grossen Zeitungen gehen denn auch davon aus, dass Italien sich letztlich für dessen Beibehaltung entscheiden wird. Ein Konfrontationskurs wäre «angesichts des angekündigten Defizitverfahrens gegen Italien und damit der Notwendigkeit, Flexibilitätsmargen auszuhandeln, eine Herausforderung voller Unbekannter», schreibt etwa der «Corriere della Sera». Die linke Opposition um Elly Schleins Partito Democratico zeigt sich derweil besorgt und beklagt, dass Meloni mit ihrem Verhalten das Land europapolitisch ins Abseits führe.

Zu bedenken ist, dass Melonis innenpolitischer Handlungsspielraum nicht unendlich gross ist. Das Fortbestehen ihrer Regierungskoalition hängt vom Wohlwollen ihrer Partner ab. Während die Forza Italia von Aussenminister Antonio Tajani für einen gemässigten Kurs in der EU plädiert und Ursula von der Leyen unterstützt, profiliert sich auf der Rechten Matteo Salvini von der Lega mehr denn je mit lauter antieuropäischer Rhetorik – selbst wenn sein Stern im Sinken ist. Nach dem Deal von Brüssel sprach er sogar von einem «Staatsstreich».

Zwischen diesen Positionen muss sich Giorgia Meloni bewegen und dabei auch ihre eigene Wählerbasis im Auge behalten, die sie sich seit der Gründung der Fratelli d’Italia im Jahr 2012 selbst erschaffen hat. Unter ihnen sind nicht wenige, die Melonis frühere EU-kritische Töne noch in den Ohren haben.

Italiens Regierungschefin muss sich letztlich entscheiden, ob sie in der EU künftig als Vertreterin einer Partei agieren will oder als politische Repräsentantin eines Landes, das in Brüssel seine Interessen verteidigt.

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