SCHON BALD SOLL DIE ERSTE PERSON IM «TESLA DER SUIZIDHILFE» STERBEN – IN DER SCHWEIZ

Ein Knopfdruck, dann kommt nach wenigen Sekunden der schmerzlose Tod. So soll die Suizidkapsel Sarco funktionieren. Sie füllt sich mit Stickstoff, der Insasse stirbt an Sauerstoffmangel. Es ist eine Methode, die ohne Gift auskommt, das getrunken oder intravenös verabreicht werden muss.

Bald soll Sarco zum ersten Mal zur Anwendung kommen. Für den Erfinder Philip Nitschke ginge damit ein Traum in Erfüllung. Der 76-jährige gebürtige Australier sieht sich als humanistischen Vorkämpfer für eine liberale Suizidhilfepraxis. Alle zurechnungsfähigen Erwachsenen sollten das Recht auf einen selbstgewählten friedlichen Tod haben, findet er – auch wenn sie bei guter Gesundheit sind.

Der Arzt Nitschke half in den neunziger Jahren vier unheilbar kranken Patienten beim Suizid, als das in Australien als weltweit erstem Land erlaubt war – zumindest für eine kurze Zeit. Dafür ersann er die «Erlösungsmaschine»: Die Sterbewilligen drückten auf einem Laptop eine Taste und lösten dadurch selbst die intravenöse Verabreichung des tödlichen Mittels aus. Das Gerät steht heute im British Science Museum.

Konflikt mit den Behörden

Später gründete Nitschke die Organisation Exit International und veröffentlichte das Buch «Die friedliche Pille». Darin gibt er praktische Tipps zum Suizid mit Giften oder Gasen. In seinem Heimatland ist das Buch verboten. Auch sonst geriet Nitschke wegen seines Aktivismus zunehmend in Konflikt mit den australischen Behörden und der Ärztekammer, die ihn nur unter strengen Auflagen weiterpraktizieren lassen wollte. Aus Protest verbrannte Nitschke 2015 öffentlich seine Zulassung als Arzt – und wanderte im gleichen Jahr in die Niederlande aus.

Nitschke hat auch einen Plastikbeutel entwickelt, der sich über den Kopf ziehen und abdichten lässt, über einen Schlauch gelangt Stickstoff in den Beutel. Der Sarco ist quasi eine Kombination dieser Suizidmethode mit der Erlösungsmaschine. Den Apparat, den er zusammen mit dem niederländischen Designer Alexander Bannink entwickelt hatte, stellte er 2019 an der Designmesse von Venedig der Öffentlichkeit vor.

Der Sarco ähnelt nicht zufällig einem futuristischen Transportmittel: Er verhilft den Patienten laut dem Gestalter Bannink zu einer «letzten Reise», bei der sie durch den transparenten Deckel den Himmel im Blick haben. Deshalb wurde der Sarco auch schon als «Tesla der Sterbehilfe» bezeichnet. Die Kapsel lässt sich bei Bedarf auch gleich als Sarg nutzen, weil sie aus biologisch abbaubarem Material besteht.

Irgendwann, so die Vision von Nitschke, sollen Interessenten den Sarco in einem 3-D-Drucker selbst produzieren können – und wären dadurch nicht mehr auf die Dienste von Ärzten und Suizidhilfeorganisationen angewiesen. Stickstoff kann man ohnehin problemlos besorgen.

Die Schweiz als Paradies der Sterbehilfe

Als Ort für die Sarco-Premiere hat Nitschke nun die Schweiz auserkoren. Er hat dafür eigens eine Tochterfirma namens Exit Switzerland gegründet – nicht zu verwechseln mit Exit Schweiz, die beiden Organisationen haben nichts miteinander zu tun. Durch den Schweizer Ableger will sich Nitschke unabhängig machen von den etablierten hiesigen Sterbehilfeorganisationen, mit denen er bei der Freitodbegleitung von Ausländern bisher immer wieder kooperiert hat. Etwa 2018, als der 104-jährige Botaniker und Ökologe David Goodall in Liestal aus dem Leben schied.

«Coming soon» steht auf der Website von Exit Switzerland unter einer Abbildung der Suizidkapsel. Am 10. Juni schrieb Nitschke in einem Online-Forum, der Einsatz von Sarco in der Schweiz sei «in den nächsten paar Wochen» zu erwarten. Laut gut informierten Quellen sind die Vorbereitungen von Exit Switzerland weitgehend abgeschlossen, der Start soll noch im Juli erfolgen. Die sterbewillige Person, die für den Ersteinsatz ausgewählt wurde, ist bereits in die Schweiz gereist. Auf Anfrage wollte Nitschkes Partnerin Fiona Stewart diese Informationen weder bestätigen noch dementieren.

Dass Nitschke auf die Schweiz setzt, ist einerseits logisch, andererseits aber auch überraschend. Logisch, weil das Land mit seinen liberalen Regeln bei den Sterbehilfeaktivisten als Paradies gilt. Nitschke hat eigens einen Leitfaden namens «Going to Switzerland: Wie Sie Ihren endgültigen Abgang planen» publiziert. 2021 machte er seine Pläne bekannt, Sarco im Folgejahr zum ersten Mal in der Schweiz einzusetzen.

Juristische Bedenken

Überraschend ist die Neuigkeit, weil die Ankündigung damals international einen riesigen Wirbel auslöste – und die Schweizer Partner von Nitschke einen Rückzieher machten. Dies insbesondere aus dem Grund, dass die rechtliche Situation weniger klar ist als gedacht.

Nitschke hatte bei einem St. Galler Professor ein juristisches Gutachten in Auftrag gegeben. Dieses kam zu dem Schluss, dass der Einsatz von Sarco gegen kein Gesetz verstosse: Weil es sich nicht um ein Medizinprodukt handle, müsse das Gerät auch nicht geprüft werden, bevor es in der Schweiz zur Anwendung komme. Doch das sehen manche Experten anders – etwa Kerstin Noëlle Vokinger, Professorin für Recht und Medizin an der Universität Zürich.

Denn unter das Medizinproduktegesetz fallen auch Apparate, die dem Zweck dienen, einen «physiologischen oder pathologischen Zustand» zu verändern. «Dazu kann ein Gerät gehören, das einen Menschen tötet», sagt Vokinger. Falls dem so wäre, müsste Sarco vor dem Einsatz zertifiziert und durch die Heilmittelbehörde Swissmedic überwacht werden.

Nitschke als Hersteller würde also mit dem Einsatz von Sarco ein gewisses Risiko eingehen, sollte er angezeigt werden und käme ein Gericht zu den gleichen Schlüssen wie Vokinger. Denn wer ein Medizinprodukt unbewilligt «in Verkehr bringt», für den sieht das Gesetz eine Haftstrafe von bis zu drei Jahren vor. Gar fünf Jahre Gefängnis drohen jenen, die aus «selbstsüchtigen Beweggründen» jemandem beim Suizid helfen.

Das könnte beispielsweise dann der Fall sein, wenn Nitschkes Organisation für die Benützung des Sarco überrissen hohe Gebühren verlangen würde. Ob das zutrifft, ist unklar. Ohnehin dürfte sich der Aktivist gegen alle Eventualitäten abgesichert haben: In der Verantwortung vor Ort stehen wohl Mitglieder von Exit Switzerland – Nitschke hat extra dafür Schweizer Bürger angeworben.

Exekution nährt Zweifel

Neben juristischen gibt es auch medizinisch-praktische Fragen. Insbesondere: Wie sicher ist Sarco? Sterben Suizidwillige darin wirklich schnell und schmerzlos? Zweifel an der Methode geweckt hat eine Exekution in den USA. Die Hinrichtung des Mörders Kenneth Eugene Smith am 25. Januar dieses Jahres war die erste überhaupt, die mittels Erstickens durch Stickstoff durchgeführt wurde.

Experten der Vereinten Nationen kritisierten dieses Vorgehen harsch und warfen den US-Behörden vor, Smith als Versuchskaninchen missbraucht zu haben. Vor allem könne von einem «schnellen, schmerzlosen und humanen» Tod, den die Behörden in Aussicht gestellt hätten, keine Rede sein: Zeugen der Hinrichtung hätten berichtet, dass «Smith mehrere Minuten lang bei Bewusstsein blieb, während er auf der Trage zuckte und sich krümmte, nach Luft schnappte, an den Fesseln zerrte und in langer Agonie heftig zitterte».

Philip Nitschke reiste im Dezember nach Alabama, um im Auftrag von Smiths Anwälten das Setting der Hinrichtung zu überprüfen. Und er mahnte, der Gebrauch einer Maske berge das Risiko, dass der Sterbeprozess lange dauere – etwa, weil sie verrutschen und der Verurteilte nach Luft schnappen könnte.

Ein «eher angenehmer» Tod

Durch die Vorgänge während der Exekution fühlte sich Nitschke bestätigt. Aber er ist laut Gewährsleuten weiterhin davon überzeugt, dass ein Ersticken mit Stickstoff für den Suizid eine geeignete Methode ist. Christian Jackowski, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin an der Universität Bern, erklärt, dass Sauerstoffmangel vom Körper tatsächlich als eher angenehm empfunden werden könne.

Jackowski weist darauf hin, dass manche Leute diese Reaktion zur Luststeigerung bewusst herbeiführen – was immer wieder zu «autoerotischen Unfällen» mit Todesfolgen führt. Damit bei Sauerstoffmangel keine Erstickungsgefühle auftreten, ist es laut dem Mediziner entscheidend, dass der Körper das Kohlendioxid gut abatmen kann. Dafür muss der Behälter, der den Kopf oder den Körper einer sterbewilligen Person umgibt, ein Volumen von mindestens fünf bis zehn Litern haben – diese Bedingung erfüllt die Sarco-Kapsel problemlos.

Die Vertreter von Schweizer Sterbehilfeorganisationen warten besorgt auf den Tag, an dem hierzulande der erste Mensch im Sarco stirbt. Das trifft speziell auf die 2019 gegründete Organisation Pegasos zu. Sie war es, die ursprünglich mit Nitschke zusammen Sarco in die Schweiz bringen wollte. Doch dann kam es zum Rückzieher wegen der juristischen Bedenken. Und schliesslich zum völligen Bruch mit dem australischen Aktivisten. «Wir wollen mit Nitschke und seiner Organisation nichts mehr zu tun haben», betont der Pegasos-Präsident Ruedi Habegger.

Sterbetourismus angekurbelt

Er kritisiert heute Nitschkes Geschäftspraktiken: Dessen Organisation habe von seinen Mitgliedern bis zu 3000 Euro Vermittlungsgebühr verlangt, wenn sie bei Pegasos hätten sterben wollen. «Es ist nicht angebracht, dass Exit International die hohle Hand macht», sagt Habegger. «Die Leute können direkt zu uns kommen, ohne eine solche Vermittlungsgebühr zu bezahlen.» Pegasos verrechnet den Sterbewilligen rund 10 000 Franken für die Suizidhilfe – laut einem Gerichtsurteil ist das kein überrissener Preis.

Bei Pegasos wirft man Nitschke auch vor, mit seinem Buch «Going to Switzerland» kurble er den «Sterbetourismus» an. Und dass in der Publikation der Eindruck entstehe, Pegasos und andere Organisationen wie Dignitas würden im Ausland offensiv für ihre Dienstleistungen werben. Auf mehrfache Aufforderungen, diese «Falschdarstellung» zu korrigieren, habe Nitschke nicht reagiert.

Seine Partnerin Fiona Stewart bestreitet gegenüber der NZZ, dass Exit International eine Vermittlungsgebühr verlangt für Personen, die zum Sterben in die Schweiz reisen. Pegasos wirft sie ihrerseits vor, die Patienten nicht gut genug zu betreuen. Stewart sieht zudem keinen Grund, die Passagen über Pegasos in ihrer Broschüre zu streichen: Die Informationen seien alle korrekt und ohnehin öffentlich zugänglich.

Dem Pegasos-Präsidenten Habegger geht es nicht nur um mögliche Reputationsschäden für die eigene Organisation. Er sieht auch die heutigen Freiheiten in Gefahr: Kritische Berichte über die Sarco-Premiere seien eine willkommene Gelegenheit für die Gegner der Sterbehilfe in der Schweiz. «Sie werden versuchen, das zu nutzen, um unsere liberalen Regeln zu ändern.»

Keine Methode für alle Sterbewilligen

Habegger und seine Pegasos-Mitstreiter finden den Sarco «grundsätzlich» immer noch eine sinnvolle Erfindung – etwa für Patienten, die wegen ihrer Erkrankung nicht in der Lage sind, das tödliche Medikament zu trinken, oder bei denen keine Infusion gelegt werden kann. Sie gehen jedoch davon aus, dass Pegasos die Kapsel ohnehin nur sehr selten eingesetzt hätte. «Den meisten unserer Patienten ist es wichtig, dass sie beim Sterben Körperkontakt mit geliebten Personen haben können. Das ist beim Sarco nicht möglich», sagt Habegger.

Ähnlich hatte 2022 Jürg Wiler argumentiert, damals Vizepräsident von Exit Schweiz. Bei Exit seien stets eine erfahrene Freitodbegleitperson und in aller Regel Angehörige des Sterbewilligen auf dessen «letzter Wegstrecke» bei ihm zu Hause präsent. «Das ist der würdigere und angenehmere Weg, als allein in einem geschlossenen Plastiksarg zu sterben.»

Auf die Aussicht, dass Sarco bald in der Schweiz zur Anwendung kommt, reagiert die Exit-Sprecherin Danièle Bersier nun allerdings gelassen. Dass Nitschkes Organisation für ihre Patienten künftig in der Schweiz mehr als vereinzelt Sterbehilfe mit der Suizidkapsel leiste, sei nicht wahrscheinlich. «Immer mehr Länder in der EU legalisieren die Sterbehilfe. Wenn dies in Grossbritannien geschieht, wird Exit International seine Mitglieder nicht mehr hierherbringen müssen.»

Bersier prognostiziert, dass Nitschke «mediale Aufmerksamkeit auslösen» werde, sollte Exit Switzerland die Suizidkapsel tatsächlich erfolgreich in der Schweiz betreiben. Dass dies der hiesigen Exit-Organisation ein Imageproblem einbringen wird, glaubt sie trotz der grossen Verwechslungsgefahr nicht. «Wir gehen davon aus, dass die Medien zwischen der etablierten Organisation Exit Deutsche Schweiz und einer ausländischen Organisation unterscheiden können und werden.»

2024-07-03T15:12:11Z dg43tfdfdgfd