RüCKSCHLAG FüR 5G-AUSBAU: FüR TAUSENDE VON BESTEHENDEN ANTENNEN BRAUCHT ES EIN NEUES BAUGESUCH

Ende April fällte das Bundesgericht ein Urteil, dessen wegweisende Folgen kaum jemand zur Kenntnis nahm. Einzig die Telekomanbieter ahnten es. Und heute sehen sie sich bestätigt: Das Urteil wird den Ausbau der 5G-Technologie zurückwerfen.

Allein im Kanton Aargau müssen die Anbieter für 200 bestehende Antennen nachträglich ein Baugesuch bei den Standortgemeinden einreichen. Dies hat die Aargauer Regierung den Mobilfunkbetreibern Swisscom, Salt und Sunrise kürzlich mitgeteilt, wie aus einer Mitteilung hervorgeht. Zahlreiche weitere Kantone dürften in den nächsten Wochen und Monaten ähnliche Schreiben verschicken.

Auslöser des Gerichtsurteils war ein Streit um drei Antennenstandorte in Wil (SG). Das oberste Gericht gab in diesem Fall den Anwohnern recht. Es entschied, dass die Swisscom die umstrittenen Antennen unerlaubterweise mit speziellen Sendeanlagen für den 5G-Betrieb ausgerüstet hat. Swisscom hatte argumentiert, die Anpassungen an den bestehenden Antennen stellten keine Änderung der Sendeanlagen dar. Sie brauche deshalb keine Baubewilligung. Vor dem Bundesgerichtsurteil akzeptierten verschiedene Kantone diese Praxis.

Stärkere Strahlung während kurzer Zeit

Der Aargau ist nun einer der ersten Kantone, der aus dem Bundesgerichtsentscheid Konsequenzen zieht. Dies lässt Rückschlüsse auf die weitere Entwicklung zu. «Gemäss einer Schätzung unseres Verbandes könnten schweizweit bis zu 2500 Antennen vom Bundesgerichtsentscheid betroffen sein», sagt Christian Grasser, der Präsident des Schweizerischen Verbandes der Telekommunikation (Asut), auf Anfrage der NZZ.

Bei den davon betroffenen Anlagen handelt es sich um sogenannte adaptive Antennen, die bereits vorhanden sind und für die 5G-Technologie umgerüstet wurden. Im Gegensatz zu herkömmlichen Antennen sind diese in der Lage, die Signale in Richtung der einzelnen Handys abzustrahlen. Dadurch ist die Strahlung ausserhalb der gerade aktiven Nutzer tendenziell niedriger. Um dies zu erreichen, senden sie zeitweise stärker als die vorgegebene Sendeleistung. Insgesamt strahlen adaptive Antennen jedoch weniger.

Um diesen Effekt auszugleichen, war es den Betreibern bisher erlaubt, auf die bewilligte Sendeleistung dieser Anlagen einen sogenannten Korrekturfaktor anzuwenden. Damit soll sichergestellt werden, dass adaptive Sendeanlagen nicht strenger beurteilt werden als konventionelle Antennen.

Das Bundesgericht hält in seinem Urteil fest, dass es für die nachträgliche Umrüstung von 5G-Antennen auf adaptiven Betrieb mit Korrekturfaktor ein ordentliches Baubewilligungsverfahren bei den Standortgemeinden mit Einsprachemöglichkeit braucht. Das rechtliche Gehör und der Rechtsschutz der Betroffenen müssten in zumutbarer Weise gewährleistet werden. Zu diesem Schluss kamen bereits die Vorinstanzen.

Bei den Mobilfunkbetreibern und bei den zuständigen Bewilligungsbehörden entstehe dadurch ein grosser administrativer Mehraufwand, sagt Grasser. «Dies, obwohl die Grenzwerte jederzeit eingehalten wurden und die Anlagen grundsätzlich bewilligt werden können.» Bereits heute könnten zahlreiche neue Anlagen nicht gebaut werden, weil sie durch Einsprachen blockiert seien. Laut Experten sind in der ganzen Schweiz rund 3000 geplante 5G-Antennen von solchen Rechtsverfahren betroffen. «Damit wird eine kundengerechte Mobilfunkversorgung mit einer effizienten und zeitgemässen Technologie in der Schweiz weiter stark verzögert», sagt Grasser.

Die Swisscom habe den Bundesgerichtsentscheid zur Anwendung des Korrekturfaktors zur Kenntnis genommen, schreibt das Unternehmen auf Anfrage der NZZ. Die Swisscom werde aktiv auf die einzelnen Gemeinden zugehen und die verlangten Gesuche einreichen. Der Kanton Aargau hat dafür eine Frist von sechs Monaten gesetzt. Auch die Swisscom rechnet deshalb mit einer weiteren Verzögerung des Mobilfunkausbaus und einem starken Mehraufwand für Gemeinden und Kantone.

Erfolg für 5G-Bekämpfer

Bei den Gegnern der 5G-Technologie wurde das Bundesgerichtsurteil mit Genugtuung aufgenommen, bietet es doch eine zusätzliche Möglichkeit, um den Bau der unerwünschten Antennen zu verzögern oder gar zu verhindern. Die in diesen Kreisen beliebte Plattform «Zeitpunkt» reagierte prompt. Nach dem Entscheid rief sie die Interessengemeinschaften auf, sich bei den zuständigen Baubehörden in den Gemeinden und beim Kanton zu erkundigen, ob sie das Urteil kennen und wie sie es umsetzen werden.

Die 5G-Kritiker waren bereits im Vorfeld sehr aktiv. So sehen sich laut einem Bericht der «Berner Zeitung» 127 Standortgemeinden von 5G-Mobilfunkantennen mit einer baupolizeilichen Anzeige konfrontiert. Die Interessengemeinschaften stützen sich dabei auf ein Urteil des Berner Verwaltungsgerichts, in dem es ebenfalls um adaptive Antennen ging. Einsprachen könnten nun auch in den anderen Kantonen gegen nachträglich eingereichte Baugesuche gewissermassen im Multipack eingereicht werden.

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