RISHI SUNAK KüNDIGT SEINEN RüCKTRITT ALS PARTEICHEF AN

Nach vierzehn Jahren konservativer Regierung hat Grossbritannien einen Machtwechsel von dramatischem Ausmass erlebt. Die Labour-Partei, die 2019 noch ihr schlechtestes Ergebnis seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt hatte, mauserte sich innerhalb von knapp fünf Jahren zur grossen Wahlsiegerin. Die Partei von Keir Starmer kam auf 412 der 650 Sitze im Unterhaus, wobei in einem Wahlkreis am Freitag noch eine Nachzählung im Gange waren.

Die Konservative Partei von Premierminister Rishi Sunak wurde hingegen regelrecht abgestraft: Sie kommt nur noch auf 121 Sitze, was dem schlechtesten Ergebnis ihrer Geschichte gleichkommt. Bei der letzten Wahl im Dezember 2019 hatten die Konservativen noch 365 Sitze errungen, während Labour auf 203 Mandate gekommen war.

Nachdem die Labour-Partei am frühen Morgen die absolute Mehrheit erreicht hatte, richtete sich der angehende Premierminister Keir Starmer in London an seine Anhänger. Er erklärte, Labour wolle die Leitidee Grossbritanniens erneuern, wonach alle Britinnen und Briten eine faire Chance erhalten sollten, wenn sie hart arbeiteten und sich an die Regeln hielten. Zudem betonte Starmer, der Labour-Wahlsieg sei nur dank seinem pragmatischen Kurs möglich gewesen. An diesem wolle er festhalten, um die realen Probleme der Bevölkerung von der maroden Infrastruktur bis zur hohen Migration anzugehen.

Konservatives Debakel

Ein Blick auf die Wähleranteile zeigt, dass die Labour-Partei auf knapp 34 Prozent der Stimmen kam. Damit hat sich die Partei im Vergleich zu 2019 nur unmerklich verbessert. Demgegenüber ist der Wähleranteil der Konservativen eingebrochen: Kamen die Tories 2019 noch auf gut 43 Prozent der Stimmen, konnten sie jetzt nur noch knapp 23 Prozent der Wählenden überzeugen. Der Wahlausgang kommt für die Tories daher einem Debakel gleich.

Mehrere prominente Konservative verloren ihren Sitz. Zu den Opfern des konservativen Fiaskos gehören der Verteidigungsminister Grant Shapps, die Bildungsministerin Gillian Keegan oder die Mehrheitsführerin im Unterhaus Penny Mordaunt, die als aussichtsreiche Anwärterin für das Amt des konservativen Parteichefs gegolten hatte. Auch die ehemalige Premierministerin Liz Truss, die in ihrer 49-tägigen Amtszeit die wirtschaftspolitische Glaubwürdigkeit ihrer Partei verspielt hatte, verpasste die Wiederwahl knapp.

Rishi Sunak konnte zwar seinen Sitz in Yorkshire im Norden Englands verteidigen. Er räumte aber bei einem kurzen Auftritt in seinem Wahlkreis die Niederlage seiner Partei ein. Am späteren Vormittag gab er vor der Downing Street seinen Rücktritt als konservativer Parteichef bekannt. Allerdings will Sunak so lange im Amt bleiben, bis seine Partei über die Modalitäten für die Regelung seiner Nachfolge entschieden hat.

Erfolge für Rechtspartei Reform UK

Die Konservativen wurden von allen Seiten angegriffen. Oft stimmten die Wähler taktisch für jene Partei, die den Tories am gefährlichsten werden konnte. Die Liberaldemokraten kommen auf 71 Sitze und haben den Tories vor allem im Süden und Westen Englands zahlreiche Mandate abgeknöpft. Im Vergleich zu 2019 legten die Liberaldemokraten damit volle 63 Sitze zu.

Zudem hat die Rechtspartei Reform UK, die einen Wähleranteil von 14,3 Prozent erreichte, den Konservativen viele Stimmen abgejagt. Dies hat wegen des Mehrheitswahlrechts dazu geführt, dass die Tories zahlreiche Sitze an Labour verloren – namentlich in den postindustriellen Wahlkreisen in Nord- und Mittelengland, welche die Konservativen 2019 unter Johnson erstmals gewonnen hatten.

Reform UK zieht auch selber ins Unterhaus ein und erreicht aus dem Stand 5 Mandate. Farage, der zuvor schon sieben Mal für einen Unterhaussitz kandidiert hatte, glückte die Wahl im Wahlkreis Clacton an der englischen Ostküste. Der Brexit-Vorkämpfer kündigte die Bildung einer neuen nationalen Bewegung an und versprach, nach seinem erfolgreichen Angriff auf die Konservativen nun auch die Labour-Partei ins Visier zu nehmen.

Verluste für schottische Nationalisten

Auch in Schottland kommt der Wahlausgang einem politischen Erdbeben gleich. So erlitt die Schottische Nationalpartei (SNP) herbe Verluste. Die SNP kommt auf 9 Sitze, nachdem sie 2019 noch 48 Sitze errungen hatte. Mit dem Verlust von 39 Sitzen geht in Schottland die zehnjährige Dominanz der SNP abrupt zu Ende, und die Aussicht auf ein neuerliches Unabhängigkeitsreferendum rückt noch weiter in die Ferne. Labour hingegen stellt in Schottland wieder die stärkste Vertretung im britischen Unterhaus.

Die Sozialdemokraten sind auch in England und Wales die grösste Partei. In Nordirland avancierte die proirische Partei Sinn Fein erstmals bei Unterhauswahlen zur stärksten Kraft, während die probritische Democratic Unionist Party (DUP) Sitze einbüsste. Das Ergebnis unterstreicht den gesellschaftlichen und politischen Wandel in der britischen Provinz, die im Frühjahr bereits die erste irisch-nationalistische Regionalpräsidentin erhielt.

Labour wird nun mit einer riesigen Parlamentsmehrheit von rund 175 Sitzen regieren. Als die Sozialdemokraten 1997 unter Tony Blair an die Macht kamen, erzielten sie ein Glanzresultat mit einer Mehrheit von 179 Sitzen. Boris Johnson hatte vor fünf Jahren eine komfortable Mehrheit von 80 Sitzen errungen.

Trotz ihrem Erfolg hat auch die Labour-Partei etliche Stimmen und Sitze an unabhängige Kandidaten verloren. Im Nordlondoner Wahlkreis Islington siegte der altlinke ehemalige Labour-Chef Jeremy Corbyn, den Starmer aus der Partei geworfen hatte.

In Leicester South, einem Wahlkreis mit hohem muslimischem Bevölkerungsanteil, verlor der bekannte Labour-Parlamentarier Jonathan Ashworth seinen Sitz an einen unabhängigen Kandidaten, der die Labour-Partei wegen ihrer proisraelischen Positionierung im Gaza-Krieg herausgefordert hatte. Auch die Grünen erzielten mit 4 Mandaten das beste Ergebnis ihrer Geschichte und profitierten von der Unzufriedenheit vieler linker Wähler mit dem zentristischen Kurs von Starmer.

Tiefe Wahlbeteiligung

Insgesamt kommt das Wahlergebnis daher keinem Sturm der Begeisterung für die Sozialdemokraten gleich, sondern einer Ohrfeige für die Tories, die eine Reihe von Problemen hinterlassen. Der Brexit ist bis anhin alles andere als ein Wachstumsmotor, die Schulden und Steuern sind so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr, die Infrastruktur ist veraltet, etliche Gemeinden stehen vor dem Bankrott.

Allerdings ist das Vertrauen in die Politik generell gesunken. Die Wahlbeteiligung betrug bloss knapp 60 Prozent, was einem der tiefsten Werte der jüngeren Geschichte entspricht. Die Konservativen und Labour kamen gemeinsam nur noch auf einen Stimmenanteil von rund 55 Prozent, während 2019 noch rund drei Viertel der Briten für eine der beiden Traditionsparteien gestimmt hatten. Die Kleinparteien errangen mehr Mandate als je zuvor. Doch begrenzte das Mehrheitswahlrecht die Zersplitterung im Parlament und führte zu den massiven Sitzgewinnen für Labour.

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