FRANKREICHS RECHTSNATIONALISTEN GEHEN BEI DEN PARLAMENTSWAHLEN IN FüHRUNG – NUN KOMMT ES AUF DIE NäCHSTEN TAGE AN

Bei der ersten Runde der Parlamentswahlen in Frankreich ist das rechtsnationale Rassemblement national (RN) als Sieger hervorgegangen. Die Partei von Marine Le Pen erhielt 29,3 Prozent der Stimmen. Zusammen mit der verbündeten Union de l’extrême droite (UXD) kommt das Rechtsbündnis somit auf 33,2 Prozent. Le Pen wurde in ihrem Wahlkreis Hénin-Beaumont erneut direkt ins Parlament gewählt.

Ebenfalls hohe Stimmenanteile gewann das neu gegründete Linksbündnis Nouveau Front populaire. Die Gruppierung, zu der sich die Sozialisten, die Grünen, die Partei La France insoumise und die Kommunisten zusammengeschlossen hatten, kam auf rund 28 Prozent.

Das Bündnis rund um den Präsidenten Emmanuel Macron mit dem Namen Ensemble belegte mit rund 20 Prozent den dritten Platz. Unmittelbar nach Bekanntgabe der ersten Hochrechnungen rief Macron in einer Mitteilung des Élysée-Palasts zu «einem breiten Zusammenschluss demokratischer Kräfte» gegen das RN auf. Die hohe Wahlbeteiligung zeige den Willen der Franzosen, «die politische Situation zu klären», so Macron.

Auf den zweiten Wahlgang kommt es an

Tatsächlich war die Wahlbeteiligung mit 66,71 Prozent knapp 20 Prozent höher als bei der regulären Parlamentswahl vor zwei Jahren. Politiker, Gewerkschaften und Verbände hatten die Bevölkerung in den vergangenen Wochen fortlaufend zum Wählen aufgerufen, auch Macron hatte jede Gelegenheit dazu genutzt. Mehr als zwei Millionen Wählerinnen und Wähler hatten sich eine Prokura besorgt, damit jemand sie bei der Stimmangabe vertreten durfte.

Nun kommt es auf den zweiten Wahlgang in einer Woche an. Die Assemblée nationale wird im Mehrheitswahlrecht bestimmt. Nur wenn ein Kandidat im ersten Wahlgang mehr als die Hälfte der Stimmen erhält, kann er direkt ins Parlament einziehen. Am Sonntag war das in 76 Wahlkreisen der Fall. In den restlichen knapp 500 Wahlkreisen treten die Kandidaten mit den meisten Stimmen am kommenden Sonntag zur Stichwahl an, derjenige mit den meisten Stimmen erhält den Sitz.

Drittplatzierte sollen sich zurückziehen

Erste Projektionen gehen davon aus, dass das Rassemblement national in der Nationalversammlung mit 255 bis 295 Sitzen die stärkste Kraft werden könnte. Für die absolute Mehrheit sind 289 Sitze nötig.

Ob das RN diese Mehrheit gewinnen kann, hängt massgeblich davon ab, wie stark die Bereitschaft der anderen Parteien ist, sich zu verbünden und Kompromisse einzugehen. Denn durch die hohe Wahlbeteiligung haben viele Kandidaten die Hürde von 12,5 Prozent der Stimmen aller Wahlberechtigten geschafft, die nötig ist, um in die Stichwahl einzuziehen. In vielen Wahlkreisen kommt es so zu sogenannten «triangulaires», das sind Stichwahlen mit drei verbliebenen Bewerbern.

Jean-Luc Mélenchon, Chef der linken Partei La France insoumise, sagte am Wahlabend, seine Partei sei bereit, in Wahlkreisen, in denen man auf dem dritten Platz gelandet sei, die Kandidaturen zurückzuziehen. «Nirgendwo werden wir dem RN erlauben zu gewinnen», sagte Mélenchon bei seiner Rede am Hauptsitz der Partei.

Auch Premierminister Gabriel Attal appellierte in seiner Ansprache daran, «alles zu tun, um das Schlimmste zu verhindern». Etwa 60 drittplatzierte Kandidaten seines Bündnisses Ensemble müssten ihre Kandidatur zurückziehen, um einen anderen Kandidaten, der «die Werte der Republik verteidigt», zu unterstützen, so Attal.

Welche Kandidaten er empfehlen würde, sagte Attal nicht, betonte aber, dass das Linksbündnis Nouveau Front populaire keine glaubwürdige Alternative zur derzeitigen Regierung darstelle. Laut französischen Medienberichten soll Emmanuel Macron die Kandidaten seines Parteibündnisses angewiesen haben, nach möglichen Allianzen zu suchen.

Ein Regierungswechsel scheint unvermeidlich

Das Rassemblement national kommt in 485 Wahlkreisen in die zweite Runde. Das Wahlbündnis der Linken könnte in 446 Wahlkreisen in die zweite Runde kommen, das Regierungslager in 319 Wahlkreisen.

Dass Macrons Mitte-Lager auch künftig die Mehrheit in der Nationalversammlung haben und die Regierung stellen wird, ist unwahrscheinlich. Den Liberalen droht, auf nur noch 60 bis 100 Sitze abzusacken. Es dürfte zu einem Machtwechsel kommen, bei dem Premierminister Gabriel Attal seinen Posten räumen muss. Für Präsident Macron ist es eine herbe Niederlage, da er darauf gesetzt hatte, mit den vorgezogenen Neuwahlen seine Position zu stärken.

Macrons eigenes Amt steht hingegen nicht auf dem Spiel, da der Präsident in einer separaten Wahl bestimmt wird. Die nächste Präsidentschaftswahl findet 2027 statt. Die nun stattfindende Parlamentswahl haben die Franzosen dem Entscheid Macrons vom 9. Juni zu verdanken, aufgrund der Niederlage seiner Partei bei den Europawahlen das Parlament aufzulösen.

Schwierige Mehrheitsbildung erwartet

Frankreich steht nun vor einer ungewissen Zukunft. Sollte keines der Lager eine absolute Mehrheit erlangen, müssen die politisch weit auseinander stehenden Parteiblöcke zähe Verhandlungen um eine Koalition aufnehmen. In einem solchen Fall wäre es auch möglich, dass eine Art Expertenregierung eingesetzt wird. Sollte es keine Einigung geben, wäre das Parlament blockiert – Macron kann es erst wieder in einem Jahr auflösen.

Sollte das Rassemblement national am nächsten Sonntag eine absolute Mehrheit erreichen, müsste Macron der Partei die Regierungsbildung überlassen. Es gäbe dann eine sogenannte Cohabitation, bei der Macrons Macht deutlich schrumpfen würde.

Die Rechtsnationalen haben bereits angekündigt, dass der 28-jährige Parteichef Jordan Bardella den Posten erhielte. Allerdings sagte er im Vorfeld der Wahl, er werde nur Regierungschef, wenn das RN eine absolute Mehrheit gewinne. In einer Ansprache am Wahlabend sagte er, er wolle «der Premierminister aller Franzosen» sein – aber «unnachgiebig in Bezug auf die Politik, die wir umsetzen werden».

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