DIE STADT ZüRICH WILL DIE LöHNE IN PRIVATEN KITAS ERHöHEN. EINE KRIPPENINHABERIN FRAGT SICH: «WIRD MAN ZUR STAATLICHEN KITA, WENN MAN DIE LOHNSUBVENTIONEN IN ANSPRUCH NEHMEN WILL?»

Raphael Golta hat Grosses vor. Der sozialdemokratische Sozialvorsteher will das Kita-System in der Stadt Zürich auf Vordermann bringen. Vergangene Woche sagte er im Stadtparlament: «Wir müssen diese Probleme alleine lösen. Irgendwann wird es ohne Kanton und Bund nicht mehr gehen. Aber bis dann springen wir in die Bresche.»

Zu diesem Zeitpunkt hatte die links-grüne Mehrheit im Stadtparlament seiner Vorlage im Grundsatz bereits zugestimmt: Betreuungsarbeit, Anstellungsbedingungen des Personals und die Finanzierung von Kita-Einrichtungen in der Stadt sollen verbessert werden. Konkret will die Stadt privaten Kita-Betrieben bei den Löhnen unter die Arme greifen – und Millionen investieren.

Deutliche Lohnunterschiede

Das Sozialdepartement hat dazu eigens eine Studie in Auftrag gegeben. Und diese hat im Frühling grosse Unterschiede bei der Bezahlung zutage gefördert: In privaten Kindertagesstätten verdienen Angestellte demnach deutlich weniger als in städtischen Einrichtungen. Die Stadt bezahlt ihren ausgebildeten Kita-Fachpersonen durchschnittlich rund 6100 Franken pro Monat. In privaten Krippen erhalten Mitarbeiterinnen, die die gleiche Lehre gemacht haben, knapp 5000 Franken.

Noch grösser ist der Unterschied auf Führungsebene: In einer der wenigen Betreuungseinrichtungen der Stadt verdienen Kita-Leiterinnen rund 9000 Franken. Die grosse Mehrheit der privaten Anbieter kann da nicht mithalten. Sie bezahlen ihrem Führungspersonal gut 2000 Franken weniger.

Damit soll bald Schluss sein. Die Stadt will die Löhne anheben. Das städtische Lohnniveau dürfte zum neuen Standard der rund 340 privaten Krippen avancieren, festgehalten in einem oder mehreren Gesamtarbeitsverträgen (GAV) für die ganze Branche auf Stadtgebiet. Die Kosten, um diese Lücke zu schliessen, sollen komplett von der öffentlichen Hand übernommen werden.

Wie viel diese Subventionen genau kosten werden, lässt sich noch nicht sagen, da diese Summe vom Ergebnis der Vertragsverhandlungen zwischen den Sozialpartnern abhängen wird. Golta rechnet mit 10 bis 20 Millionen Franken jährlich, wie er im Frühling gegenüber den Tamedia-Zeitungen sagte. Für den Stadtrat steht fest: Höhere Löhne wirken dem Fachkräftemangel in der Krippenbranche entgegen, und sie führen zu einer besseren Betreuung der Kinder.

Das Paket des Sozialvorstehers umfasst auch einen Zustupf für die Beaufsichtigung von Säuglingen und Kleinkindern. Ab 2025 sollen Kita-Besucher bis im Alter von zwei Jahren eineinhalb Plätze belegen und daher enger betreut werden. Die Stadt geht damit über die Vorschriften des Kantons hinaus. Im kantonalen Kinder- und Jugendhilfegesetz ist lediglich vorgesehen, dass Kinder bis 18 Monate eineinhalb Krippenplätze beanspruchen müssen. Für das Jahr 2027 beziffert das Sozialdepartement die Kosten dieser Massnahme auf knapp 11 Millionen Franken – unter der Annahme, dass bis dahin sämtliche Kitas in der Stadt eine entsprechende Finanzierung beantragen werden.

Der Staat wird also dafür sorgen, dass die Auslastung der Kinderkrippen erhöht wird. Das Sozialdepartement bezeichnet das als «positiven Nebeneffekt».

«Absolut systemfremd»

Die FDP-Gemeinderätin Marita Verbali ist damit gar nicht einverstanden. «Die Geburtenrate geht zurück, die Nachfrage nach Kita-Plätzen wird weiter abnehmen. Es kann doch nicht sein, dass wir mit Steuergeldern ein Überangebot finanzieren und unterbelegte Krippen künstlich am Leben halten», sagt sie gegenüber der NZZ. Tatsächlich sind viele Kindertagesstätten defizitär. Laut einer Studie des Verbands Kinderbetreuung Schweiz (Kibesuisse) haben 2022 über ein Drittel der befragten Krippen Verluste erwirtschaftet.

Verbali und ihre Fraktionskollegen stören sich auch daran, dass die geplanten Sockelbeiträge der Stadt pauschal pro Betreuungstag entrichtet werden sollen – also unabhängig von der Frage, ob ein Krippenbetrieb auf Subventionen angewiesen ist oder nicht.

Aus liberaler Überzeugung schliesslich spricht sich die FDP-Politikerin klar dagegen aus, dass der Staat sich mit Steuergeldern in die Lohnpolitik privater Firmen einmischen will. Im Gemeinderat sagte Verbali vergangene Woche: «Es ist absolut systemfremd, dass private Firmen mit der Sozialpartnerin einen GAV aushandeln und dann die Rechnung für die Lohnerhöhungen an die Stadt stellen.»

Sozialvorsteher Golta lässt sich davon jedoch nicht beirren. Das Vorhaben seines Departements sei zwar eher unkonventionell. Aber: «Wir sind der Überzeugung, wir gehen den richtigen Weg», sagte der Sozialdemokrat im Stadtparlament. Alle politischen Lager wollten ein gutes Kita-Wesen. Doch der Preis dafür sei nun mal höher als das, was man bis jetzt zu zahlen bereit gewesen sei.

«Was will die Stadt als Gegenleistung?»

Kitas sind teuer, gerade in Zürich. Eltern, die aufgrund ihres Einkommens keine Verbilligung geltend machen können, zahlen in der Limmatstadt im Mittel 127 Franken pro Betreuungstag. Das hat eine nationale Erhebung der Credit Suisse ergeben. Mehr verlangen Kitas nur noch in den Städten Bern und Zug. Trotz diesen hohen Tarifen und bereits bestehenden Subventionen können die meisten Betreiber ihre Angestellten nicht besser entlöhnen.

Mehr noch: Viele Krippen sind auf Praktikantinnen und Lernende angewiesen, um den Personalbedarf zu decken. Die Richtlinien des Kantons sehen den Einsatz von unqualifiziertem Personal explizit vor, da Kita-Plätze sonst viel teurer und für viele Eltern erst recht unerschwinglich wären. «Diplomierte Angestellte kosten viermal so viel wie Auszubildende», sagt Claudia Rabelbauer, Inhaberin eines kleinen Kita-Unternehmens und bis vor kurzem Gemeinderätin der EVP.

Rabelbauer ist gespalten. Eigentlich würde sie die Vorlage des Stadtrats gerne begrüssen. Aber sie fragt sich auch: «Was will die Stadt als Gegenleistung? Wird man zur staatlichen Kita, wenn man die Lohnsubventionen in Anspruch nehmen will?» Sie trage das Risiko ihrer Firma selber, sie wolle ihre Entscheide auch künftig selber fällen können, sagt Rabelbauer. Im neuen Regime könnte das allerdings schwierig werden. Die Stadt will selber Vorgaben machen können. Das geht aus der Vorlage des Sozialdepartements klar hervor.

Es droht ein Stadt-Land-Graben

Besonders delikat ist die Lage für Kita-Unternehmen mit Standorten in der Stadt Zürich und auf dem Land. Rabelbauer beispielsweise betreibt eine Krippe in Altstetten und in Affoltern am Albis. In Altstetten dürfte sie keine andere Wahl haben, als die städtische Zusatzfinanzierung zu beantragen. Sonst wäre ihre dortige Kita womöglich bald nicht mehr konkurrenzfähig. Ihren Mitarbeiterinnen im Knonauer Amt hingegen wird sie denselben Bonus nicht bieten können. «Das ist unfair», sagt die Unternehmerin.

Auch Marita Verbali warnt davor, dass Lohnerhöhungen in der Stadt Kinderkrippen auf dem Land in Nöte bringen könnten. «Kita-Mitarbeiterinnen könnten abwandern und den Fachkräftemangel in umliegenden Gemeinden noch verschärfen.»

Die Folgen eines ähnlichen Eingriffs lassen sich derzeit in den beiden Basel beobachten. In Basel-Stadt werden Eltern ab August weniger bezahlen, gleichzeitig werden die Löhne von Kita-Mitarbeiterinnen steigen – dank Subventionen im Umfang von 35 Millionen Franken pro Jahr. Baselland kann da nicht mithalten. Familien zogen in die Stadt, einige Kitas mussten deswegen bereits schliessen. Die Suche nach geeignetem Personal wird für Baselbieter Krippen noch schwieriger, wie Radio SRF unlängst berichtete.

In Zürich ist es noch nicht so weit. Die Schlussabstimmung im Gemeinderat steht noch aus, sie dürfte zugunsten des Vorhabens von Stadtrat Golta ausfallen. Ob die bürgerlichen Fraktionen das Parlamentsreferendum gegen die Vorlage ergreifen werden, um das Geschäft vors Volk zu bringen, ist offen.

Marita Verbali will jedenfalls mit ihrer Partei nach Lösungen suchen, die den Eltern zugutekommen. Die FDP-Politikerin könnte sich zum Beispiel vorstellen, den sogenannten Grenzbetrag (jährliches Gesamteinkommen eines Paares minus Abzüge) zu erhöhen. Damit würden auch Eltern Zugang zu subventionierten Krippenplätzen erhalten, die zusammen mehr als 100 000 Franken verdienen.

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