CORONA-LEAKS: DAS BUNDESGERICHT MUSS üBER DEN E-MAIL-VERKEHR DES BERSET-VERTRAUTEN MIT DEM CEO VON RINGIER ENTSCHEIDEN

Die Affäre um die sogenannten Corona-Leaks ist noch nicht ausgestanden. Die Bundesanwaltschaft hat gegen den Entscheid des Berner Zwangsmassnahmengerichts Beschwerde erhoben. Das hat die Bundesanwaltschaft am Freitag auf Anfrage bestätigt.

Somit wird höchstrichterlich geprüft, ob der umfangreiche E-Mail-Verkehr zwischen Peter Lauener, viele Jahre eine enge Vertrauensperson von Bundesrat Alain Berset, und Marc Walder, dem obersten operativen Chef des Verlagshauses Ringier, für strafrechtliche Ermittlungen verwendet werden darf.

Ende Mai hatte das Zwangsmassnahmengericht in Bern erkannt, der E-Mail-Verkehr enthalte konkrete Hinweise auf ein mögliches strafbares Verhalten Laueners. Trotzdem wies das kantonale Gericht den Antrag der Bundesanwaltschaft ab, die E-Mails zu entsiegeln und somit zugänglich für die Strafuntersuchung zu machen.

Diesen Entscheid begründete das kantonale Gericht mit dem Quellenschutz beziehungsweise dem Redaktionsgeheimnis. Obwohl das Strafverfahren wegen des Verdachts der Amtsgeheimnisverletzung einzig gegen Peter Lauener läuft, würde dieser von der Stellung Marc Walders profitieren. Dem CEO von Ringier sprach das Gericht implizit eine redaktionelle Funktion zu.

Einzelne bezeichneten den Gerichtsentscheid als Sieg für die Medienfreiheit. Andernorts wurde der Entscheid harsch als «schrecklichstes Urteil der Gegenwart» kritisiert: Der Quellenschutz werde geradezu pervertiert, wenn dadurch ausgerechnet ein hochrangiger Staatsangestellter geschützt werde in seinem möglichen Bestreben, den Konzernverantwortlichen eines Verlages zu instrumentalisieren, der unter anderem den «Blick» herausgibt.

Zum Inhalt ihrer Beschwerde wollte sich die Bundesanwaltschaft am Freitag nicht äussern. Wie erst diese Woche bekanntgeworden ist, hatte das Bundesgericht in Lausanne kürzlich in einem ähnlich gelagerten Fall einen Entscheid des Berner Zwangsmassnahmengerichts umgestossen.

In ihrer damaligen Beschwerde hatte sich die Bundesanwaltschaft über die «krass einseitige Würdigung» durch das Berner Gericht beschwert – und wurde darin höchstrichterlich gestützt. Der Fall wurde zur «zügigen Prüfung» ans Zwangsmassnahmengericht nach Bern zurückgewiesen – wo er seit anderthalb Jahren hängig ist.

Daten bleiben gesiegelt

Im strittigen Fall um den E-Mail-Verkehr zwischen Peter Lauener und Marc Walder war das Berner Zwangsmassnahmengericht Ende Mai in einem lange erwarteten Entscheid zum Schluss gekommen, dass die gesiegelten Daten nicht ausgewertet werden dürfen.

In der heissen Phase der Corona-Pandemie hatten sich die beiden intensiv per E-Mail ausgetauscht. Diesen E-Mail-Verkehr möchte die Bundesanwaltschaft für ihre Ermittlungen auswerten. Sie führt gegen Lauener ein Strafverfahren wegen Verdachts der Amtsgeheimnisverletzung. Dem Ansinnen der Bundesanwaltschaft hat das Berner Gericht mit seinem Entscheid einen (vorläufigen) Riegel geschoben.

Der Gerichtsentscheid ist öffentlich nicht zugänglich, konnte von der NZZ aber eingesehen werden. Er enthielt weiteren Sprengstoff: Laut Einschätzung des zuständigen Richters liegen «erhebliche und konkrete Hinweise dafür vor, dass Lauener das Amtsgeheimnis verletzt haben könnte». An anderer Stelle wurde das kantonale Gericht noch deutlicher und zitierte aus drei E-Mails, die Bersets Vertrauensmann Ende 2020 an den Ringier-CEO Walder verschickt hatte.

«Überschiessende Daten»

Der umfangreiche Austausch von E-Mails zwischen Lauener und Walder umfasst die Periode von März 2020 bis Mai 2022. Als ausserordentlicher Staatsanwalt des Bundes hatte Peter Marti ursprünglich die E-Mails innerhalb eines deutlich kleineren Zeitrahmens verlangt. Dieser umfasste etwa zwei Wochen.

Doch sowohl die Swisscom (für Laueners private E-Mails) wie auch das Bundesamt für Informatik und Telekommunikation (für den Geschäfts-Account) lieferten dem Sonderermittler sogenannte «überschiessende Daten», die er gar nie bestellt hatte. Diesen Beifang meldete Marti zwar seiner Auftraggeberin, der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA), nicht aber Lauener beziehungsweise dessen Anwalt. Dadurch wurde es dem langjährigen Berset-Mitarbeiter verunmöglicht, die Siegelung seiner E-Mails unmittelbar zu beantragen.

Lauener erfuhr erst im Rahmen einer Hausdurchsuchung an seinem Wohnort von den beschlagnahmten E-Mails. Zwar beantragte er bei dieser Gelegenheit die sofortige Siegelung des E-Mail-Verkehrs, doch bis dahin hatte sich der Sonderermittler Marti den Datensatz bereits angeschaut.

Während heisser Corona-Phase

Der schriftliche Entscheid des Berner Zwangsmassnahmengerichts, der 99 Seiten umfasst, enthält zahlreiche Informationen, die bisher nicht bekannt waren. Er gibt Einblick in den regen Austausch von Marc Walder und Peter Lauener in einer der heissesten Phasen der Corona-Pandemie im Spätherbst 2020, als die Freigabe von neu entwickelten Impfstoffen zur Debatte stand.

Der Einzelrichter erkannte im Wust des E-Mail-Verkehrs insbesondere drei E-Mails, die aus seiner Sicht den Verdacht nahelegen, dass Peter Lauener eine Amtsgeheimnisverletzung begangen haben könnte.

Die markanteste dieser drei E-Mails datiert vom 10. November 2020. Der Inhalt der E-Mail wird in der Randziffer 181 des schriftlichen Entscheids zitiert.

«Vertraulich einige Infos»

«Guten Morgen Herr Walder», heisst es einleitend – trotz dem regen Austausch blieben die beiden also beim förmlichen Sie. Dann fährt Lauener fort: «Vertraulich einige Infos: Die Gelder für den Impfstoff sollten wir wohl erhalten. Wir unterzeichnen nächstens einen Vertrag mit Pfizer, die den angeblich sehr wirksamen Impfstoff entwickelt haben.»

Abschliessend schreibt Lauener, dass diese Bestellung zu zwei anderen, bereits reservierten Impfstoffen dazukomme.

Die Medien und die Öffentlichkeit informierte der damalige Bundesrat Berset erst mehr als zwei Wochen später, am 26. November 2020. An diesem Tag gab der Gesundheitsminister an einer Medienkonferenz bekannt, die Schweiz habe Verträge mit AstraZeneca und Moderna abgeschlossen und bei Pfizer Impfstoffe verbindlich reserviert.

Der «Blick», das reichweitenstärkste Medium aus dem Hause Ringier, hat nicht vorab über die Impfstrategie des Bundesrats berichtet. Trotzdem steht für das Berner Gericht fest: «Die Informationen dürften zum damaligen Zeitpunkt geheim gewesen sein.» Darauf deute allein schon der Umstand hin, dass Lauener in den drei vom Richter aussortierten E-Mails jeweils vorab darauf hinweise, es handle sich um vertrauliche Informationen.

Jedenfalls könne nicht ausgeschlossen werden, dass allenfalls «geheimnisgeschützte Informationen» an Walder gelangt sein könnten, heisst es im schriftlichen Gerichtsentscheid. In Randziffer 186 fasst der Richter seine Überlegungen schliesslich wie folgt zusammen: Aufgrund der drei E-Mails lägen erhebliche und konkrete Hinweise dafür vor, dass Lauener das Amtsgeheimnis verletzt haben könnte. «Das Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts ist zu bejahen.»

Vorab über Bundesratssitzungen informiert

An anderer Stelle weist das Gericht auf zwei weitere Beobachtungen hin, die sich aus dem E-Mail-Verkehr zwischen Lauener und Walder ergeben. Zum einen wurde Walder stets auf dem Laufenden gehalten, was an den bevorstehenden Bundesratssitzungen diskutiert werden sollte. Zum anderen wurden dem CEO von Ringier die Medienmitteilungen regelmässig vorab geschickt, also bevor alle anderen Medienschaffenden damit bedient wurden.

Quellenschutz schützt Lauener

Dass der E-Mail-Verkehr trotzdem nicht für die Ermittlungen gegen Lauener verwendet werden darf, begründet das Berner Gericht in seinem schriftlichen Entscheid mit dem Quellenschutz beziehungsweise dem Redaktionsgeheimnis.

Zwar sei Marc Walder als CEO von Ringier nicht direkt journalistisch tätig. Weil er aber zumindest mittelbar an der Veröffentlichung von Informationen beteiligt sei, könne sich Walder auf den Quellenschutz für Medienschaffende berufen. Dieser ist sowohl im Strafgesetzbuch (Art. 28a StGB) wie in der Strafprozessordnung (Art. 172 StPO) verankert.

«Damit unterliegt die Korrespondenz dem Beschlagnahmeverbot, das einer Entsiegelung entgegensteht», heisst es abschliessend in förmlichem Juristendeutsch.

Lauener profitiert also gemäss dem erstinstanzlichen Entscheid davon, dass er die allfällige Amtsgeheimnisverletzung gegenüber einem Journalisten begangen hat. Im Fachjargon nennt sich das Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten.

Gegen diesen Entscheid hat die Bundesanwaltschaft nun Beschwerde erhoben. Dringt sie damit nicht durch, muss sie das hängige Strafverfahren gegen Peter Lauener wohl definitiv einstellen.

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