BEI DEN KELTEN HATTEN DIE MüTTER DIE MACHT

Erstmals haben DNA-Analysen bewiesen, dass frühe eisenzeitliche Gesellschaften nicht patriarchal organisiert waren. Entscheidend war die Linie der Mütter.

Die Macht geht vom Vater auf den Sohn, die Krone in den meisten Fällen auch. So kennen wir das aus der Geschichte. Herrscherinnen galten lange als Ausnahme oder Notlösung, so wie beispielsweise im Fall des englischen Tudor-Königs Henry VIII, der keine Söhne hatte und dessen Tochter Elizabeth I den Thron im Jahr 1558 bestieg.

Doch längst nicht zu allen Zeiten und bei allen Kulturen war die Weitergabe vom Vater auf den Sohn, auch patrilinear genannt, selbstverständlich. Eine neue Untersuchung bestätigt nun etwas, was Forscherinnen und Forscher schon länger vermuteten: Bei den frühen Kelten vererbte sich die Macht über die Linie der Mütter. Das zeigt eine neue Untersuchung des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig eindrücklich. Erschienen ist sie in der Fachzeitschrift «Nature Human Behaviour».

Obwohl die Kelten imposante Grabhügel und wertvolle Goldobjekte hinterlassen haben, wissen wir noch immer recht wenig über sie. Nicht einmal, ob sie sich selbst Kelten nannten, ist überliefert. Diese Bezeichnung stammt aus antiken Quellen, die nicht von ihnen selbst, sondern aus dem Mittelmeerraum stammen.

Spuren bis in die Schweiz

Heute bezeichnet man als Kelten all jene Menschen, die von rund 600 bis 100 Jahren vor unserer Zeitrechnung in West- und Mitteleuropa, einschliesslich der Schweiz, lebten. Die ganze Epoche heisst Eisenzeit. Bekannt sind mächtige Herrschaftssitze wie die Heuneburg oder Hochdorf, nicht weit vom Gebiet der heutigen Schweiz entfernt.

Weil die Kelten selbst, besonders nördlich der Alpen, kaum Schriftliches hinterliessen, blieb vieles über ihre Kultur lange rätselhaft. Klar ist nur, dass sie sich deutlich von der antiken Welt des Mittelmeerraumes unterschieden. Erzählen lässt sich die keltische Geschichte vor allem mithilfe der Archäologie und zahlreicher Grabfunde. Und jetzt gibt es ein neues Kapitel:

Forscher haben erstmals Erbgut-Sequenzen aus mehreren keltischen Gräbern analysieren können. Die Proben stammen aus Zähnen und Knochen von 31 Menschen aus sieben Grabhügeln im heutigen Baden-Württemberg. Die Frauen und Männer sind zwischen den Jahren 616 und 200 vor unserer Zeitrechnung gestorben. Aus jener Epoche stammen mehrere prunkvoll ausgestattete Grabkammern, beispielsweise das Grab Magdalenenberg bei Villingen-Schwenningen oder die Grabhügel bei Eberdingen-Hochdorf.

Die DNA-Analysen ergaben mehrere interessante Resultate. So fanden die Forscher zwei Männer in reich ausgestatten Grabkammern, die über die mütterliche Linie miteinander verwandt waren. Beide stammten aus der Region um den Fluss Neckar, sind aber in unterschiedlichen Machtzentren beerdigt.

Das untersuchte Erbgut zeigte: Die Schwester des ersten Mannes ist die Mutter des zweiten. Sie sind also Onkel und Neffe. «Das lässt bei den frühen Kelten auf eine Weitergabe der Macht über die Mütter schliessen», schreiben die Autoren. Vor allem weil auch andere Funde in dieser Richtung deuten. Matrilinear nennt man diese Herrschaftsstrukturen.

«Dies ist eine wichtige Studie», sagt die Kelten-Expertin und Archäologin Rachel Pope von der Universität Liverpool, «wir haben auch in anderen Funden Belege dafür entdeckt, dass diese frühen eisenzeitlichen Gesellschaften nicht patriarchal organisiert waren.» So hätten archäologische Funde gezeigt, dass zum Beispiel in der Heuneburg, einem keltischen Machtzentrum, in den besonders reich ausgestatteten Gräbern der frühen Phase vor allem Frauen lagen. «Das deutet auf eine machtvolle Stellung dieser Frauen hin», sagt Pope.

Verallgemeinern lässt sich das aber nicht, vor allem nicht für die gesamte keltische Phase und alle Gebiete. «Man muss für jede Region einzeln untersuchen, wie die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern waren», sagt die britische Spezialistin.

Ein Brand veränderte die Machtverhältnisse

Die Heuneburg war von rund 620 bis 450 v. Chr. ein wichtiges Handelszentrum der Kelten, denn sie lag in der Nähe der Donau. Die Gewässer waren nicht nur wichtig für die Fortbewegung in einer Landschaft, in der der Wald oftmals dicht wuchs. Sie spielten auch für den weiträumigen Handel eine zentrale Rolle.

Möglicherweise existierte um die Heuneburg sogar eine Stadt, genannt Pyrene, die der griechische Geschichtsschreiber Herodot im fünften vorchristlichen Jahrhundert beiläufig erwähnt. Mehrere Tausend Menschen lebten dort vermutlich, mit bis zu 17’000 Menschen im näheren Umland – eine beachtliche Grösse für die Eisenzeit. Der Reichtum der dort herrschenden Familie könnte auch ein Indiz für ein mächtiges Handelszentrum sein. Begraben sind die Toten dort mit wertvollen Goldobjekten, Wagen, Möbeln, Goldschmuck, importierten Wertgegenständen aus der griechischen und der etruskischen Kultur.

Auch auf dem Gebiet des heutigen Frankreich findet man für die frühe Herrschaftsphase der Kelten von rund 600 bis 450 v. Chr. mehr prunkvolle Frauengräber als solche von Männern. Auch in der Schweiz stiessen Archäologen auf wichtige Frauengräber, beispielsweise im Gräberfeld von Münsingen-Rain bei Bern.

In der Heuneburg kam es um das Jahr 540 zu einem grossen Feuer. «Danach scheinen sich die Herrschaftsverhältnisse zwischen den Geschlechtern zu verschieben», sagt Pope. Die Macht sei ab dann gleichmässiger zwischen Frauen und Männern aufgeteilt gewesen. Was der Grund für diese Verschiebung war, weiss man nicht.

Verwandschafts­beziehungen ins heutige Italien

Noch ein weiteres Resultat der Studie findet Pope bemerkenswert. Die zwei Männer und zwei Frauen aus dem Grab der Magdalenenburg, deren DNA die Forscher analysierten, stammten von Frauen aus Norditalien ab. «Und dort lebten Gruppen, die ebenfalls matrilinear organisiert waren», sagt Pope.

Und noch etwas anderes zeigte die Studie: Die keltische Machtelite war miteinander verwandt und verschwägert. Vermutlich gaben die Herrschenden, wie auch in späteren Königshäusern, schon damals die Macht innerhalb der Familie weiter. Die Verwandschaftsbeziehungen reichten in das Gebiet des heutigen Frankreich und der Schweiz und bis nach Italien zu den Etruskern.

Im französischen Burgund stiess man schon in den 1950er-Jahren auf das Grab einer Keltin, die in einem Wagen beerdigt war. Sie hatte viel goldenen Schmuck, einen Weinbehälter, der mehr als 1000 Liter fasste, einen Dolch, Schalen und Statuetten bei sich. Gestorben ist sie um das Jahr 500 vor unserer Zeitrechnung. Und sie trug einen goldenen Halsring, was bei den Kelten ein Herrschaftssymbol war.

Die keltische Kultur ist nicht die einzige, in der die Macht über die Linie der Mütter weitergegeben wird. Eine US-Übersichtsstudie kam vor einigen Jahren zum Schluss, dass von 1291 untersuchten Kulturen rund 12 Prozent matrilinear sind, 45 Prozent patrilinear und bei den restlichen die Weitergabe der Macht unterschiedlich geregelt ist.

Es gab in den letzten Jahrzehnten in der Forschung immer wieder Diskussionen zur Frage, warum es seit der Antike nur noch wenige matrilineare Kulturen gab, zumindest in Europa. «Manchmal wird behauptet, die Einführung der Sesshaftigkeit habe eine wichtige Rolle gespielt, warum in vielen Gesellschaften die Männer Machtpositionen besetzten», sagt Pope. Doch so einfach sei es nicht. Das beweist auch die keltische Kultur, die sich mehr als 4000 Jahre nach Einführung der Landwirtschaft in der Schweiz ausbildete.

Starten Sie jeden Tag informiert in den Tag mit unserem Newsletter Guten Morgen. Melden Sie sich hier an.

2024-07-05T03:51:49Z dg43tfdfdgfd