«2024 WIRD EIN SCHICKSALSJAHR FüR SCHWEIZER KARTOFFELN»

Wir Schweizerinnen und Schweizer lieben Kartoffeln. Doch diese anzubauen, ist für die Bäuerinnen und Bauern in den letzten Jahren immer herausfordernder geworden. Warum, zeigt ein Besuch mit dem Schweizer Kartoffelpräsident auf kränkelnden Feldern.

Draussen, auf den Feldern von Bätterkinden, dem tiefsten und flachsten Punkt des Berner Emmentals, treffen zwei Welten aufeinander.

Rechts das Leben: Die Stängel der in Reih und Glied gesetzten Pflanzen sind dick und stark, die Blätter sattgrün, zuoberst thronen weisse Blüten, zuunterst, unter der Erde, wachsen an jedem Wurzelende kleine Knollen rasend schnell zu grossen Kartoffeln heran.

Links der bevorstehende Tod: Dünne, gelbliche Stängel, verdorrte, braune Blätter, hängende, blütenlose Kronen.

«Dieser Kontrast ist schon eindrücklich», sagt Ruedi Fischer. Er steht vor dem dünnen Streifen Wiese, der die beiden Welten voneinander trennt und schüttelt den Kopf. Betroffen über das, was er sieht – auch wenn es nicht das erste und sicher nicht das letzte Mal ist.

Fischer ist Kartoffelbauer. Genauso wie sein Vater, Grossvater und Urgrossvater. Seit 16 Jahren präsidiert er die Vereinigung Schweizerischer Kartoffelproduzenten. In dieser Zeit hat er beobachten können, wie viele Kartoffelbauern das Handtuch werfen.

Kaum neue Schweizer Kartoffelproduzenten

In den meisten Fällen hörten die Bauern nicht mit der Landwirtschaft auf, sondern einzig mit der Kartoffelproduktion, so Fischer. Warum, kann er gleich zeigen.

Er läuft auf das kränkelnde Bio-Kartoffelfeld hinaus, zupft ein Blatt ab, dreht es mit der Unterseite nach oben und zeigt auf eine bräunliche, vertrocknete Stelle. Ein weisser Flaum liegt darüber. «Krautfäule», sagt Fischer. «Vielleicht sind die Kartoffeln auch schon befallen. Dann sprechen wir von Knollenfäule.»

Fischer beginnt an der Wurzel einer halb verdorrten Pflanze zu graben. Eine kleine Kartoffel kommt zum Vorschein. Ob sie von der Knollenfäule befallen ist, kann man ihr nicht ansehen. Erst nach der Ernte und nach einigen Wochen Lagerung würde sie sich bei Befall schwarz färben.

Fischer gräbt weiter. Findet aber nur noch eine verfaulte, grosse Kartoffel. Diejenige, die der Bauer vor einigen Wochen gesetzt hat. «Eine Kartoffel setzen, eine ernten. Ein Minusgeschäft», sagt Fischer. Je nach Sorte sollte ein Bauer pro gesetzte Kartoffel zwischen acht und zwölf Stück ernten können.

Ausgelöst wird die Kraut- und Knollenfäule von einem Pilz. Dieser liebt es feucht und warm. Am liebsten anhaltender Regen bei 15 bis 25 Grad. Genau das Wetter, das in der Schweiz dieses Jahr bisher vorherrscht.

Unter diesen Bedingungen kann sich der Pilz mit seinen Sporen rasend schnell über die Luft verbreiten. Innert einer Woche eine ganze Ernte zerstören. So wie hier, auf dem Bio-Kartoffelfeld in Bättenkinden.

Was hilft: Viel Chemikalien

Gegen die Kraut- und Knollenfäule darf der Biobauer nur ein Kupferpräparat einsetzen. Anders als der herkömmliche Kartoffelbauer auf dem Feld nebenan. Er kann chemisch synthetische Pflanzenschutzmittel verwenden, die stärkeren Schutz bieten.

Doch auch das ist noch keine Garantie für eine gute Kartoffelernte. «Das Spritzmittel wirkt nur, solange es einen kleinen Film über die Pflanze gelegt hat. Nach 20 Millilitern Regen ist der Schutz weg», sagt Fischer.

Etwas anderes, als regelmässig Pflanzenschutzmittel zu versprühen, bleibt dem Kartoffelbauer deshalb nicht übrig. Mit dem befallenen Kartoffelfeld direkt nebenan ist das Risiko eines kompletten Ernteausfalls wegen Kraut- und Knollenfäule sonst gross.

Auch Fischer setzt regelmässig auf chemischen Pflanzenschutz. Ein paar hundert Meter von den beiden Kartoffelfeldern entfernt befindet sich sein eigenes. Seine Pflanzen ragen stolz und sattgrün gen Himmel. Sie sind gesund. Nur wenige kranke Blätter finden sich darunter.

Drei Jahre schlechte Ernte zerstört Existenzen

«2024 wird ein Schicksalsjahr für Schweizer Kartoffeln», sagt Fischer. Drei Jahre nacheinander eine schlechte Ernte, könne eine Existenz zerstören. Und 2022 und 2023 hätten die Kartoffelbauern bereits mit den Wetterextremen zu kämpfen gehabt. Die Folge: hohe Ernteausfälle.

Viele Kartoffelproduzenten hätten ihm deshalb im Voraus gesagt: «Ich versuche es 2024 ein letztes Mal mit Kartoffeln. Mache ich wieder Verlust, höre ich auf.»

Das macht Fischer Sorgen. Denn die Lücke, die sie hinterlassen, wird nicht gefüllt. Fischer sagt:

«Nur wenige Bauern entscheiden sich heute noch dazu, mit der Kartoffelproduktion zu beginnen.»

Weil der Arbeitsaufwand und die Anbaurisiken so gross sind. Egal, ob Bio- oder konventionelle Kartoffeln.

Das zeigt ein weiteres Feld in der Gegend, nur wenige Minuten Autofahrt entfernt. Es gehört einem konventionellen Kartoffelbauer und sieht noch schlimmer aus als jenes des Biobauern. Viele Pflanzen liegen nicht einmal mehr im Sterben. Sie sind bereits tot.

Der Grund auch hier: Kraut- und Knollenfäule.

«Ich habe dem Bauern gesagt, an seiner Stelle würde ich aufgeben, das ganze Feld umpflügen und Mais anpflanzen. Hier ist aus meiner Sicht nichts mehr zu holen.» Aber solche Entscheidungen würden vielen schwerfallen. Sicher 10'000 Franken habe der Bauer schon in das Feld investiert. Die Arbeitsstunden noch nicht eingerechnet.

Alles für nichts? Die Hoffnung stirbt zuletzt. Die Kartoffelpflanzen wohl kurz davor.

Wetter ist gleichzeitig zu nass und zu trocken

Die Kraut- und Knollenfäule ist keine neue Krankheit. Es hat sie immer schon gegeben. Im 19. Jahrhundert sorgte sie in Irland gar für eine Hungersnot. «Die Vorfahren von John F. Kennedy flohen deshalb in die USA, wo er dann eines Tages Präsident wurde. Ist das nicht faszinierend, welchen Einfluss die Kartoffel auf unsere Geschichte hat?»

Fischer weiss alles über Kartoffeln. Er liebt die Knolle. Er würde sich nicht mehr als «richtiger Bauer» fühlen, hätte er keine Kartoffelfelder mehr.

Natürlich machen auch Schädlinge den Kartoffelbauern das Leben schwer. Läuse übertragen beispielsweise Krankheiten. Der aus den USA eingeschleppte Kartoffelkäfer zerfrisst Blätter, wodurch die Pflanze eingeht.

Am meisten zu schaffen machen den Kartoffelbauern jedoch die Wetterextreme. Der Klimawandel. Wegen ihm kann es für die Schweizer Kartoffel in diesem Jahr sowohl zu nass als auch zu trocken sein.

Der regnerische Frühling führte dazu, dass viele Bauern ihre Kartoffeln erst spät setzen konnten. Auch Fischer. Der Boden war zu feucht. Folgt nun ein trockener, heisser Sommer, könnten die Wurzeln der später gesetzten Kartoffeln noch nicht stark genug sein, um standzuhalten. Sie würden viel Wasser brauchen, um nicht zu vertrocknen. Bleibt es hingegen so nass wie bisher, floriert die Kraut- und Knollenfäule.

(Zu) viele verkennen die Gefahr des Artensterbens

Fischers Haltung zum Klimawandel

Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) schreibt auf seiner Website, dass Pflanzenschutzmittel «erhebliche Umweltauswirkungen» haben können. «Sie können im Boden gespeichert, in der Nahrungskette angereichert oder ins Grundwasser ausgewaschen werden und so das ökologische Gleichgewicht stören.» Graben sich die Kartoffelbauern ihr eigenes Grab?

Fischer zuckt die Schultern und sagt dazu:

«Unser Beruf ist voller Widersprüche. Und wir müssen irgendwie darin navigieren.»

Für den Klimawandel sei es immer noch besser, wenn Schweizer Kartoffeln konsumiert würden und keine importierten. Nicht nur wegen der langen Transportwege. Auch angesichts eines jüngsten Skandals.

Anfang Juni mussten in Deutschland zahlreiche Supermarktketten Frühkartoffeln aus Ägypten zurückrufen. Der Grund: hohe Rückstände des krebserregenden Pflanzenschutzmittels Fluazifop.

Giftige ägyptische Kartoffeln in Deutschland – bisher kein Rückruf in der Schweiz

Fischer sagt: «Was nützt es uns, wenn wir in der Schweiz weniger Kartoffeln anbauen und deshalb immer mehr importieren müssen? Aus Ländern, deren Anbauprozesse wir nicht kontrollieren können?» Auf diese Weise würde die Schweiz in Kauf nehmen, dass die Umwelt für sie einfach an einem anderen Ort belastet würde. «Unethisch und egoistisch» ist das aus Fischers Sicht.

Wegen der schlechten Ernte 2022 und 2023 musste die Schweiz bereits mehrere 10'000 Tonnen Kartoffeln aus dem Ausland importieren. Ob diese Zahl 2024 noch höher ausfallen wird, wird sich im Verlaufe des Sommers zeigen.

Fischer will die Zukunft nicht schwarzmalen. Trotzdem stellt er für dieses Jahr bereits fest:

«Einen so hohen Krankheitsdruck haben wir seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt.»

Bundesamt ohne Macht: Wie das BAFU nach Röstis Gusto das Artensterben beschönigte

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