WäREN WIR AUF EINE VOGELGRIPPEPANDEMIE VORBEREITET?

Angesichts riesiger Vogelgrippeausbrüche bei Kühen in den USA sind Fachleute besorgt. Anders als bei Corona wären wir diesem Virus im Ernstfall nicht schutzlos ausgeliefert. Vorbereitende Maßnahmen bräuchte es aber jetzt schon.

„So etwas hat es vorher noch nicht gegeben, solche extrem großen Ausbrüche bei Kühen – alle Fachleute sind besorgt“, sagte Ende Juni Christian Drosten im Interview mit dem RND. Ausgerechnet der Virologe, der im Januar 2020 als einer der Ersten vor den Gefahren des neuartigen Coronavirus warnte. Nur dass diesmal nicht von Sars-CoV-2 die Rede ist. Sondern vom Vogelgrippevirus H5N1.

Ebendieser Erreger kursiert zwar schon seit Jahrzehnten durch die Welt. Er hat sich nun aber offensichtlich verändert. Seit rund drei Jahren löst H5N1 ein weltweit beispielloses Massensterben in der Tierwelt aus: dezimiert besonders stark ganze Populationen von Wildvögeln.

Vernichtet Geflügelbestände, Hühner, Puten, Enten. Greift über auf immer mehr Säugetiere: Nerze, Füchse, Ziegen, Katzen etwa. Seit diesem Frühjahr springt H5N1 zum Erstaunen der Fachwelt auch noch auf Milchvieh über – und dann sogar von Kuh zu Kuh weiter. Ausbrüche in mehr als 130 Herden in mehreren USA-Bundesstaaten wurden bislang registriert.

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Infektionsherd Euter? Das Vogelgrippevirus geht neue Wege

Die Ausbrüche geben Forschenden Rätsel auf. Wie genau sich das Virus zwischen den Tieren überträgt, ist unklar. H5N1 könnte über Melkgeräte oder Handschuhe weitergegeben werden, über Tiertransporte, auch eine Übertragung über die Atemwege ist nicht ausgeschlossen. Es mehren sich die Hinweise, dass die Euter direkt durch das Virus infiziert werden könnten und damit eine tragende Rolle bei Übertragungsketten spielen könnten. Eine hohe Viruslast wurde dementsprechend in Rohmilch festgestellt, örtlich auch im Abwasser.

Fünf Katzen wurden im Zusammenhang mit diesen Ausbrüchen bis Anfang Juni positiv getestet, ebenso elf Mäuse, einige Alpakas. Vereinzelt haben sich auch Menschen angesteckt: Nachgewiesenermaßen sind es drei Farmmitarbeiter, die engen Kontakt mit infizierten Tieren hatten. Sie berichteten allesamt von einer Bindehautentzündung und Husten.

Nach allem, was man bislang darüber weiß, ist das aber die Ausnahme. Das liegt daran, so erklärte es dem RND zuletzt Timm Harder, Vogelgrippeexperte am Friedrich-Loeffler-Institut (FLI), dass Menschen wenig empfänglich sind für H5N1. Der Körper müsste eine sehr große Menge Viren aufnehmen, damit diese bei relevanten Zellen tief in der Lunge überhaupt andocken können. Ganz anders läuft das bei Vögeln, wo ein Kontakt im Schnabeleingang schon ausreicht, um sich anzustecken. Nicht zuletzt deshalb schätzt die WHO und auch das FLI die Gefahr der mit der Vogelgrippe infizierten Kühe für Menschen momentan als gering ein.

Dennoch rufen weltweit Gesundheitsbehörden dazu auf, jetzt wachsamer zu werden. Das Potenzial für große, pandemische Infektionswellen, bei denen H5N1 von Mensch zu Mensch weitergegeben wird, trägt dieses Virus in sich. „Es gibt keine Garantie dafür, dass nicht doch irgendwo und irgendwann eine Variante entsteht, für die wir Menschen empfänglicher sind“, sagt Harder, der das nationale Referenzlabor für Aviäre Influenzaviren leitet. Dieses Virus, sagt Harder, sei sehr wechselfreudig. Man könne sich die Fülle der zirkulierenden Viruslinien ein bisschen wie Konfetti vorstellen, das man in die Luft wirft. Harder muss es wissen: Bei ihm laufen alle Vogelgrippeverdachtsfälle aus Deutschland auf und werden überprüft.

Forschende vermuten, dass das tatsächliche Ausmaß der Verbreitung in den USA noch nicht bekannt ist, weil systematische epidemiologische Analysen bislang fehlen. Wie sich die Ausbruchslage dort weiterentwickelt, lässt sich ebenfalls nicht vorhersagen. „Ich kann nur sagen, es kann glimpflich ablaufen, das Virus braucht mehrere Schritte zur Anpassung, und vielleicht ist es vorher schon unter Kontrolle“, erklärt dazu Virologe Drosten. „Aber es kann auch schon der Anlauf zu einer nächsten Pandemie sein, den wir hier live mitverfolgen.“

Er wünsche sich eine bessere Dateneinsicht – und dass in den USA nun entschlossener vorgegangen werde. Indem man beispielsweise versuche, infizierte Bestände zu isolieren, und schaue, wo Menschen sich infizieren könnten. Auch Kühe ließen sich impfen. „Die Erfahrung lehrt eben: Wir bemerken zu spät, wenn sich ein Virus bereits verbreitet“, so Drosten.

Impfstoffansätze gibt es – aber reicht die Menge?

Würde sich die Vogelgrippe tatsächlich irgendwann unter Menschen breitmachen, wäre man besser vorbereitet, als es bei Corona der Fall war. Medikamente gäbe es für den Ernstfall. Als antivirale Akutmedikamente können zum Beispiel Baloxavir, Oseltamivir oder Zanamivir eingesetzt werden. „Alle momentan für saisonale Influenza verwendeten Klassen von antiviralen Medikamenten funktionieren (zumindest in vitro) gut gegen die momentanen H5N1-Stämme“, sagt etwa Florian Krammer, Vakzinologe an der Icahn School of Medicine. „Daher sollte auch eine Therapie mit diesen Medikamenten bei Infizierten gut funktionieren.“

Ähnlich sieht es bei Vakzinen aus. „Wir könnten auf eine ganze Serie an Impfstoffkandidaten zurückgreifen“, sagt Harder. In Deutschland werde gerade bereits intensiv darüber diskutiert, ob man Geflügel per Impfung vor dem Vogelgrippevirus schützen sollte. „In Frankreich hat man damit gute Erfahrungen gemacht.“ In der Theorie setzen Forschende für den Fall einer Vogelgrippepandemie auf Impfstoffe, die auf bestehende Technologien zur Herstellung von Grippeimpfstoffen zurückgreifen.

Im Prinzip könnten diese „relativ schnell hergestellt, weiter getestet und auf den Markt gebracht werden“, erklärte Vakzinologin Anke Huckriede von der Universität Groningen dem Science Media Center (SMC). Fraglich wäre allerdings, ob die Menge ausreichen würde. Impfstoffe seien nur sehr begrenzt verfügbar und sollten produziert und eingelagert werden. Gleiches gelte für Therapeutika. „Das ist aber machbar, wenn man jetzt damit beginnt.“

Tempo machen für das Worst-Case-Szenario, das fordert auch der Virologe Klaus Stöhr. Es müsse jetzt darum gehen, sogenannte präpandemische Impfstoffe zur Zulassung zu bringen, forderte er im Gespräch mit dem Deutschlandfunk Anfang Juli. Dabei handele es sich um Impfstoffe, die bereits vor der Ausbreitung einer Pandemie verwendet werden könnten. Derartige Seren habe man bereits vor 20 Jahren entwickelt. Diese müssten jetzt schnell an die aktuell zirkulierende Virusvariante angepasst werden, erklärte der ehemalige Leiter des WHO-Influenza-Programms. Grundsätzlich habe er die Hoffnung, dass die Politik aus der Corona-Krise gelernt habe und sich jetzt strukturiert und effizient auf eine mögliche Vogelgrippepandemie vorbereite.

Infektionsrisiko bei Kühen in Europa momentan „sehr gering“

Ein Anfang ist bereits gemacht: Die EU-Kommission hat sich jüngst vertraglich 665.000 Dosen für H5N1-Vakzine für mehrere Mitgliedsstaaten gesichert. Über die kommenden vier Jahre könnten dem Vertrag zufolge zusätzlich 40 Millionen Dosen bestellt werden. Aus Sorge vor steigenden Fallzahlen hat Finnland beispielsweise bereits damit begonnen, Arbeitende auf Geflügelfarmen, Tierärztinnen und Tierärzte sowie Forschende gegen die Vogelgrippe zu impfen. Die finnischen Behörden nutzen dafür „Zoonotic Influenza Vaccine“, einen H5-Grippeimpfstoff von Seqirus, der auf dem Virussubtyp H5N8 beruht. Auch die USA haben Seqirus beauftragt, die Zahl der verfügbaren Impfdosen aufzustocken.

Deutschland beteiligt sich derzeit nicht an einer gemeinsamen Impfstoffbeschaffung. Aber auch hierzulande werden Gesundheitsbehörden wachsamer. Zwar schätzen sie das Risiko eines Eintrags speziell des US-amerikanischen H5N1-Unterstammes B3.13 und auch Infektionen bei Kühen in Europa als „sehr gering“ ein. Trotzdem haben FLI-Forschende im Mai ein Experiment gestartet – und eine Reihe von Milchkühen testweise über die Zitzen mit H5N1 von einem Wildvogel infiziert.

Das Ergebnis: Der Erreger vermehrte sich im Euter. Die Kühe zeigten Symptome – bildeten weniger Milch, veränderten deren Konsistenz und hatten Fieber. Auch 1400 Serumproben von Kühen und 350 Tankmilchproben aus besonders betroffenen Vogelgripperegionen in Deutschland seien vorsorglich auf Antikörper hin untersucht worden – mit jeweils negativem Ergebnis. Weitere 1500 sollen folgen. Bis wann mit Ergebnissen zu rechnen ist? Unklar. (RND)

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